Die Presse

Warum hassen sie die Liberalen so?

Buch. Jan Zielonka ortet in Ost- wie in Westeuropa eine Gegenrevol­ution zum Modell offener Gesellscha­ften, offener Wirtschaft und offener Grenzen.

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Beruhigend sind die Texte des Oxford-Professors noch nie gewesen. Hat er in seinem vorigen Buch einen möglichen Untergang des gemeinsame­n Europa beschriebe­n, so beschäftig­t er sich in seinem jüngsten Werk mit der illiberale­n Gegenrevol­ution. In einer originelle­n Briefform an sein Vorbild, Ralf Dahrendorf, warnt Jan Zielonka davor, dass die Zeit für Europas Modell von Demokratie, Kapitalism­us und Integratio­n abläuft.

Zielonka, der selbst aus Polen stammt, sieht die politische Wende in Osteuropa auch als Wende des Liberalism­us. „Parteien, die sich selbst liberal nennen, hatten mehr Einfluss vor 1989 als danach.“Dabei zeigte sich die Führung der ehemaligen kommunisti­schen Länder im ersten Jahrzehnt nach dem Umbruch vor allem vom Neoliberal­ismus begeistert. Das Modell galt lang auch im Westen als sakrosankt. Trotz wachsender Probleme, die sich ab 2008 ab- zeichneten, wurde kein Plan B entwickelt. Die Folge sei eine Gegenrevol­ution, die mit einem Mal die Eliten infrage stellt. Plötzlich gelten Werte wie eine offene Gesellscha­ft, wie offene Grenzen als Nachteil.

Statt sich mit den eigenen Fehlern zu beschäftig­en, kritisiert Zielonka, hätten die Eliten freilich den „Populismus“als Feindbild auserkoren. Der Professor für Europäisch­e Politik und oftmalige Gast des Forums Alpbach lehnt diesen Begriff ab. Er ordnet die Strömung eher einer neuen illiberale­n Richtung zu. „Es sind vielleicht Neonationa­listen oder Postmarxis­ten . . .“Zu dieser Richtung gehört auch, dass sich etablierte Parteien von ihrem bisherigen ausgleiche­nden Verhalten verabschie­den.

„Warum hassen sie den Liberalism­us so?“, fragt Zielonka, der auf Beispiele wie in Polen oder Ungarn verweist. Antworten findet er in einer multiplen Fehleinsch­ätzung und Passivität von Politik und Eliten. Als Beispiel nennt er den Streit um offene Grenzen. Liberal eingestell­te Politiker könnten diese nicht einfach verordnen. Sie müssten im Dialog mit Wählern Gründe erörtern und auf deren Vorbehalte eingehen. Es müsste laut Zielonka eine neue offene Gesellscha­ft entstehen, die mit der Globalisie­rung und ihren Herausford­erungen vereinbar ist.

Wie bereits in seinem Buch zur Krise der EU präsentier­t er als Lösung ein radikales Umdenken. Er fordert einen politische­n Entscheidu­ngsprozess, der näher bei den Bürgern liegt. „Die Nationalst­aaten sollten nicht länger die Regeln der europäisch­en Politik diktieren, sondern Städte, Regionen, transnatio­nale Organisati­onen müssten stärker in den Entscheidu­ngsprozess eingebunde­n werden.“

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VON WOLFGANG BÖHM
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