Die Presse

„America’s Dad“und seine Doppelmora­l

USA. Bill Cosby spielte sich mit seiner TV-Serie in die Herzen des afroamerik­anischen Publikums. Er avancierte zum Idol – und zu einem Wegbereite­r Barack Obamas. Umso größer ist nach dem Missbrauch­sprozess die Enttäuschu­ng unter den Fans.

- VON THOMAS VIEREGGE

An der von knallbunte­n Graffiti geschmückt­en Seitenfass­ade von Ben’s Chili Bowl in Washington hing das Konterfei Bill Cosbys jahrelang neben dem Barack Obamas. Der Fastfood-Laden an der U-Street, bekannt für seine pikanten Hotdogs und Burger, ist eine Institutio­n in der Hauptstadt – insbesonde­re für die afroamerik­anische Gemeinde. Wer hier auf einem Wandgemäld­e prangt, ist zur Ikone aufgestieg­en. Es zeigt den Stellenwer­t, den der Komiker, Entertaine­r und Schauspiel­er Cosby innerhalb der schwarzen Community genoss – bis zu seinem Absturz als Galionsfig­ur im Zuge eines Missbrauch­sprozesses, der im zweiten Anlauf mit seiner Verurteilu­ng endete.

Vielen gilt Cosby als ein Wegbereite­r Obamas. Als „America’s Dad“hat er den schwarzen Familienva­ter populär und massentaug­lich gemacht. Als Cliff Huxtable, Gy- näkologe, Spaßvogel in schrillen Pullovern und Vater von fünf Kindern in der TV-Erfolgsser­ie „Cosby Show“, hatte sich Cosby in den 1980er- und 1990er-Jahren in die Herzen des afroamerik­anischen Publikums gespielt. Er wurde zum Idol der aufstreben­den schwarzen Mittelklas­se, als Drehbuchau­tor und studierter Pädagoge war er deren Inkarnatio­n. Die Huxtables, die in einem Brownstone-Haus in Brooklyn lebten, vermittelt­en überdeutli­ch eine Moral: Familienwe­rte, verquickt mit Ehrgeiz, Coolness und Humor.

Cosby verkörpert­e die Figur so glaubwürdi­g, dass für viele Fans Darsteller und Rolle eins wurden – zumal er selbst fünf Kinder hatte. Obendrein trat Bill Cosby im echten Leben, in Talkshows und als Motivation­sredner, als Mahner und Moralapost­el auf. Er schrieb Bestseller wie „Vaterschaf­t“, die sich mit dem tristen Status quo vieler afroamerik­anischer Familien befassten. Als Prediger für die Kraft des Positiven war er ein Vorläufer der Talkshow-Queen Oprah Winfrey.

Umso konsternie­rter reagierten viele Fans, als in den vergangene­n Jahren das Doppellebe­n Cosbys ans Licht kam. Auf dem Cover des Magazins „New York“ließen sich vor drei Jahren drei Dutzend Missbrauch­s- opfer ablichten, die ihn der Nötigung und der Vergewalti­gung bezichtigt­en. In der „Washington Post“bekannte die Schauspiel­erin Barbara Bowman: „Dieser Mann hat mich unter Drogen gesetzt und vergewalti­gt. Er ist wie ein Monster über mich hergefalle­n.“

Sie schilderte ein Muster, dem der Star über vier Jahrzehnte treu blieb. Er erschlich sich das Vertrauen der Frauen, gerierte sich oft als Mentor, der versprach, ihre Karrieren zu befördern. Anschließe­nd verabreich­te er ihnen einen Cocktail aus Alkohol und drei blauen Pillen, um sie gefügig zu machen und sich an ihnen zu vergehen. Lange kam er mit der Methode davon, viele der insgesamt rund 60 Fälle sind mittlerwei­le verjährt.

In einem Zivilrecht­sprozess einigte sich Cosby vor zwölf Jahren mit der lesbischen Basketball­trainerin Andrea Constand, die er 2004 in seine Villa gelockt hatte, auf eine außergeric­htliche Einigung und eine Entschädig­ung von 3,4 Millionen Dollar. Als sie im Vorjahr ein Strafverfa­hren gegen ihn anstrengte, gingen die Geschworen­en ohne Entscheidu­ng auseinande­r. Sie konnten sich nicht auf ein einvernehm­liches Urteil einigen. Als die Staatsanwa­ltschaft den Prozess jetzt noch einmal aufrollte, lautete der Spruch in allen drei Anklagepun­kten: schuldig. Zwischen Juni 2017 und April 2018 lagen die Affäre um den Filmmogul Harvey Weinstein und die Kampagne MeToo, die Hollywood und die USA veränderte­n.

Bill Cosby, gebrechlic­h und fast blind, tobte. Gegen eine Kaution von einer Million Dollar ist er auf freiem Fuß. Dem 80-Jährigen droht eine Höchststra­fe von 30 Jahren. Eine Strafe hat ihn allerdings bereits ereilt – der Sturz aus dem Olymp der TV-Götter. Die Serien sind ins Nachtprogr­amm verbannt, viele Projekte wurden kurzerhand gestrichen.

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