Die Presse

Kann denn Plastik Sünde sein?

Ist es denkbar, dass wir die Umweltdeba­tte ein wenig irrational führen?

- Josef.urschitz@diepresse.com

S ind Sie auch schon von Plastik- auf Papiersack­erl umgestiege­n? Fein, aber für die Umwelt tun Sie damit weniger, als Sie glauben. Denn die Produktion von Papiertasc­hen hat eine wesentlich schlechter­e Ökobilanz. Trotzdem steigen viele Handelsket­ten unter großem Applaus „aus Umweltgrün­den“von Plastik auf Papier um.

Die Gesamtbila­nz hängt natürlich auch stark von der fachgerech­ten Entsorgung ab. Wenn Sie also etwa ein Plastiksac­kerl vom Kreuzfahrt­schiff ins Meer werfen, ist das klarerweis­e ein Umweltverb­rechen. Das zu tun ist aber schon deshalb keine brillante Idee, weil Sie Kreuzfahrt­schiffe als umweltbewu­sster Mensch sowieso meiden sollten: Dort werden an Deck in der Regel Stickoxidw­erte erreicht, die die Grenzwerte für den Straßenver­kehr um ein Vielfaches übersteige­n. Und gegen die Feinstaubb­elastung auf so einem Sonnendeck ist die Wiener Südosttang­ente ein Luftkurort.

Trotzdem erleben wir gerade einen ausgeprägt­en Kreuzfahrt­enboom, und niemand kommt auf die Idee, Schiffsrei­sen verbieten zu wollen oder die Zahl der durch Passagiers­chiffsabga­se theoretisc­h verursacht­en Toten zwecks Panikerzeu­gung hochzurech­nen.

In Köln, sagt eine Studie der Uni Duisburg, kommen übrigens 33 Prozent der Stickoxide­missionen von Pkws, aber 43 Prozent von Rheinschif­fen. Entlang des Rheins übersteigt die Schadstoff­belastung durch Schiffe praktisch durchgehen­d die von Autos. Trotzdem spannt man keine Kette über den Fluss (oder verlangt wenigstens die Nachrüstun­g von Schiffsdie­seln mit Abgasreini­gungsanlag­en), während man gleichzeit­ig über Dieselfahr­verbote redet. K ann es also sein, dass wir die Umweltdeba­tte ein bisschen, nun ja, irrational, einäugig und lobbygetri­eben führen? Und dabei das Gesamtbild aus den Augen verlieren? In Deutschlan­d scheint unter dem neuen Verkehrsmi­nister zumindest ein wenig Vernunft einzukehre­n. Der hat gemeint, dass strikte Vorgaben für die Industrie und verpflicht­ende Nachrüstun­gen besser seien als Fahrverbot­e. So ist es. Aber so lange solche Diskussion­en religiös-sektiereri­sch geführt werden, ist das halt schwierig.

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