Kann denn Plastik Sünde sein?
Ist es denkbar, dass wir die Umweltdebatte ein wenig irrational führen?
S ind Sie auch schon von Plastik- auf Papiersackerl umgestiegen? Fein, aber für die Umwelt tun Sie damit weniger, als Sie glauben. Denn die Produktion von Papiertaschen hat eine wesentlich schlechtere Ökobilanz. Trotzdem steigen viele Handelsketten unter großem Applaus „aus Umweltgründen“von Plastik auf Papier um.
Die Gesamtbilanz hängt natürlich auch stark von der fachgerechten Entsorgung ab. Wenn Sie also etwa ein Plastiksackerl vom Kreuzfahrtschiff ins Meer werfen, ist das klarerweise ein Umweltverbrechen. Das zu tun ist aber schon deshalb keine brillante Idee, weil Sie Kreuzfahrtschiffe als umweltbewusster Mensch sowieso meiden sollten: Dort werden an Deck in der Regel Stickoxidwerte erreicht, die die Grenzwerte für den Straßenverkehr um ein Vielfaches übersteigen. Und gegen die Feinstaubbelastung auf so einem Sonnendeck ist die Wiener Südosttangente ein Luftkurort.
Trotzdem erleben wir gerade einen ausgeprägten Kreuzfahrtenboom, und niemand kommt auf die Idee, Schiffsreisen verbieten zu wollen oder die Zahl der durch Passagierschiffsabgase theoretisch verursachten Toten zwecks Panikerzeugung hochzurechnen.
In Köln, sagt eine Studie der Uni Duisburg, kommen übrigens 33 Prozent der Stickoxidemissionen von Pkws, aber 43 Prozent von Rheinschiffen. Entlang des Rheins übersteigt die Schadstoffbelastung durch Schiffe praktisch durchgehend die von Autos. Trotzdem spannt man keine Kette über den Fluss (oder verlangt wenigstens die Nachrüstung von Schiffsdieseln mit Abgasreinigungsanlagen), während man gleichzeitig über Dieselfahrverbote redet. K ann es also sein, dass wir die Umweltdebatte ein bisschen, nun ja, irrational, einäugig und lobbygetrieben führen? Und dabei das Gesamtbild aus den Augen verlieren? In Deutschland scheint unter dem neuen Verkehrsminister zumindest ein wenig Vernunft einzukehren. Der hat gemeint, dass strikte Vorgaben für die Industrie und verpflichtende Nachrüstungen besser seien als Fahrverbote. So ist es. Aber so lange solche Diskussionen religiös-sektiererisch geführt werden, ist das halt schwierig.