Alles war möglich, auch das Malen
Ausstellung. Im Musa beginnt man in drei Teilen die Wiener Kunst der Neunzigerjahre aufzurollen, von Lawrence Weiner bis Erwin Wurm. Ein praktisch unmögliches Unterfangen.
Im TV lief „Twin Peaks“, im Kino Quentin Tarantino, und in Wien trug man dazu natürlich Helmut Lang, der damals auf der Wiener Angewandten Mode unterrichtete. Im neuen Kunsthalle-Wien-Container am Karlsplatz befriedigte sich eine junge Elke Krystufek selbst, in der neuen Generali Foundation begann derweil die Lecture-Befriedigung der intellektuellen Metaebene des Kunst-und-Kontext-Diskurses innerhalb der postkolonialistischen Institutionskritik (oder so). Während der US-Künstler Lawrence Weiner im Rahmen der Wiener Festwochen „Smashed to Pieces (In the Still of the Night)“auf den Flakturm im Esterhazy-´ park schrieb und Elfie Semotan Martin Kippenberger heiratete.
Die Neunzigerjahre halt. Die Wiener Kunstszene von damals, hemmungslos zwischen Ironie, Introspektion, Selbstkritik, Selbstverliebtheit, Internationalität, Regionalismus, Formalismus und Selbstentäußerung pendelnd, in eine Ausstellung zu gießen, klingt großartig. Es passierte so unglaublich viel. Vor allem explodierten die parallelen Kunstszenen, was sich auch auf den Kunstunis abbildete – man lese nach, wer dort damals unterrichtete, wer dort damals studierte. Dafür war die österreichische Kulturpolitik nicht nur ihrer, auch unserer Zeit voraus, auf Bundesebene von Kulturminister Rudolf Scholten geprägt. Unter ihm wurden Franz West (1990) und das Trio Andrea Fraser, Christian Philipp Müller und Gerwald Rockenschaub (1993) auf die Biennale Venedig geschickt. Auf der Stadtebene braucht man nur Ursula Pasterk sagen. Ihr folgte dann Peter Marboe.
1991 begann Wien auch die Idee eines eigenen „Museums auf Abruf“zu verfolgen, bespielt aus der riesigen, 1951 gegründeten Sammlung der Stadt. 2007 wurde das Musa neben dem Rathaus eröffnet; gerade erst wurde es als Filiale ins Wien-Museum eingegliedert. Inklusive Leiter Berthold Ecker, einem der besten Kenner der Wiener Szene. Seit einigen Jahren versucht er in Überblicksausstellungen die Kunstgeschichte dieser Stadt aufzurollen. Was natürlich genauso viel über die Ankaufspolitik erzählt wie über den Geist der Jahrzehnte.
Mit der fünften Ausgabe dieser immer bei freiem Eintritt besuchbaren „Epochen“-Präsentationen ist Ecker jetzt in den Neunzigerjahren angelangt, für die er sich die Unterstützung von Kuratorin und Kunsthistorikerin Brigitte Borchhardt-Birbaumer holte. Und so großartig dieses Unterfangen, diese Zeit auch ist – die beiden tun sich auch dementsprechend schwer. Trotz richtiger Diagnose – Diversität rules! – und nötiger Behandlung dieses Wusts – die Splittung dieser Riesenausstellung mit 245 Künstlern in drei aufeinanderfolgende „Aufzüge“– kann man zumindest im jetzt gerade angelaufenen ersten Teil keiner größeren Erzählung folgen.
Das Problem ist vor allem die geringe Vermittlung: Man beschränkt sich auf einen einzigen einleitenden Saaltext, dessen Thesen (Internationalisierung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, verstärkte künstlerische Auseinandersetzung mit Politik, Ge- schichte, Ökologie) man zwar in einzelnen, kleineren Gruppen wiederfindet. Sonst aber wuchert die Vielfalt völlig unkommentiert.
Dementsprechend irritierend beginnt der große Saal erst einmal mit Malerei, und zwar mit der Fortführung der Neuen Wilden, die in den Achtzigerjahren begonnen haben, mit immerhin wunderbaren Bildern von Siegfried Anzinger, Alois Mosbacher (Hühner!) und Kurt Kocherscheidt. Soweit kennt man sich aus, kennt man die Namen. Aber wer ist Christian Macketanz? Den LassnigSchüler, der heute an der Dresdner KunstHochschule unterrichtet, muss man schnell googeln, das wird einem noch öfter so gehen, schade um diese Biografien. Und wo sind die Frauen? Auf einer Wand weit weg von den Neuen Wilden trifft man zwar auf eine kleinere Leinwand der beständig parallel zu all den Moden malenden Martha Jungwirth. Aber wo sind die vielen jungen Malerinnen der Neunzigerjahre? Wenn hier schon ein Malerei-Schwerpunkt gesetzt wurde?
Die Künstlerinnen scheinen hier eher in der Skulptur, im Objekt auf: mit Marianne Maderna, Elisabeth Samsonow, Meina Schellander oder der Holzbildhauerin Karin Frank, von der ein herrliches Selbstporträt als junges Mädchen, mit knallroter echter
2007 gegründet, diente das Musa als Ausstellungszentrum der Kulturabteilung der Stadt Wien, gleich neben dem Rathaus. Ein Hauptaugenmerk des Musa lag (und liegt) auf der stadteigenen, seit 1951 aufgebauten Kunstsammlung. Diese umfasst rund 40.000 Werke von 4500 Künstlern. Seit 2011 steht die Abkürzung Musa für Museum Startgalerie Artothek, seit Kurzem ist die Institution dem Wien-Museum angegliedert, samt dem langjährigen Musa-Leiter und Kunst-Sektionschef Berthold Ecker, der jetzt im Wien-Museum als Kurator geführt wird. Strumpfhose bekleidet, in dieser Sammlung gelandet ist. Frank scheint neben Siggi Hofer, beide 1970er-Jahrgänge, die einzige jüngere Position in diesem Ausstellungsteil zu sein, der zeigt, dass damals entweder einfach eher konventionell und/oder von arrivierteren Künstlern angekauft wurde. Oder die Kuratoren versuchten mit diesem Auftakt eine stilistische und gedankliche Brücke zu den Achtzigern zu schlagen. Damit wir uns nicht so schrecken plötzlich.
Freuen kann man sich vor einigen angekauften Zimelien – Zufallsfunden, muss man hier sagen, denn erklärt werden die Werke nirgends. Da findet sich etwa der Entwurf des Ausstellungsplakats von Lawrence Weiner zu den Wiener Festwochen 1991, mit dem Spruch vom Flakturm, der bald von dort, vom heutigen Haus des Meeres, wegen Ausbaus verschwinden wird. Und ein Foto von Lois Weinbergers legendärer Documenta-X-Arbeit von 1997, wo er in Kassel ein stillgelegtes Bahngleis mit Neophyten, also Unkraut aus Süd- und Südosteuropa, bepflanzte.
Vor zwei Jahren jedenfalls hat das Mumok der internationalen Kunst der Neunziger eine prinzipielle Ausstellung gewidmet, in der diese als theorielastige Zettelsammlung dargestellt wurde, als „vielleicht traurigste Epoche aller Zeiten“, wie ein deutscher Kritiker schrieb. Ohne jeglichen Humor. Das zumindest könnte man der Wiener Kunst dieser Zeit nicht unterstellen, denkt man an West, an Erwin Wurm, Werner Reiterer oder Anna Jermolaewa. Darauf konzentriert sich, so die Ankündigung, der zweite Ausstellungsteil, der den Sommer über laufen wird: Vielleicht hätte man damit beginnen sollen.