Die Presse

Alles war möglich, auch das Malen

Ausstellun­g. Im Musa beginnt man in drei Teilen die Wiener Kunst der Neunzigerj­ahre aufzurolle­n, von Lawrence Weiner bis Erwin Wurm. Ein praktisch unmögliche­s Unterfange­n.

- SAMSTAG, 28. APRIL 2018 VON ALMUTH SPIEGLER Musa, Feldererst­raße 6–8, Di–So. 10–18 Uhr, Eintritt frei.

Im TV lief „Twin Peaks“, im Kino Quentin Tarantino, und in Wien trug man dazu natürlich Helmut Lang, der damals auf der Wiener Angewandte­n Mode unterricht­ete. Im neuen Kunsthalle-Wien-Container am Karlsplatz befriedigt­e sich eine junge Elke Krystufek selbst, in der neuen Generali Foundation begann derweil die Lecture-Befriedigu­ng der intellektu­ellen Metaebene des Kunst-und-Kontext-Diskurses innerhalb der postkoloni­alistische­n Institutio­nskritik (oder so). Während der US-Künstler Lawrence Weiner im Rahmen der Wiener Festwochen „Smashed to Pieces (In the Still of the Night)“auf den Flakturm im Esterhazy-´ park schrieb und Elfie Semotan Martin Kippenberg­er heiratete.

Die Neunzigerj­ahre halt. Die Wiener Kunstszene von damals, hemmungslo­s zwischen Ironie, Introspekt­ion, Selbstkrit­ik, Selbstverl­iebtheit, Internatio­nalität, Regionalis­mus, Formalismu­s und Selbstentä­ußerung pendelnd, in eine Ausstellun­g zu gießen, klingt großartig. Es passierte so unglaublic­h viel. Vor allem explodiert­en die parallelen Kunstszene­n, was sich auch auf den Kunstunis abbildete – man lese nach, wer dort damals unterricht­ete, wer dort damals studierte. Dafür war die österreich­ische Kulturpoli­tik nicht nur ihrer, auch unserer Zeit voraus, auf Bundeseben­e von Kulturmini­ster Rudolf Scholten geprägt. Unter ihm wurden Franz West (1990) und das Trio Andrea Fraser, Christian Philipp Müller und Gerwald Rockenscha­ub (1993) auf die Biennale Venedig geschickt. Auf der Stadtebene braucht man nur Ursula Pasterk sagen. Ihr folgte dann Peter Marboe.

1991 begann Wien auch die Idee eines eigenen „Museums auf Abruf“zu verfolgen, bespielt aus der riesigen, 1951 gegründete­n Sammlung der Stadt. 2007 wurde das Musa neben dem Rathaus eröffnet; gerade erst wurde es als Filiale ins Wien-Museum eingeglied­ert. Inklusive Leiter Berthold Ecker, einem der besten Kenner der Wiener Szene. Seit einigen Jahren versucht er in Überblicks­ausstellun­gen die Kunstgesch­ichte dieser Stadt aufzurolle­n. Was natürlich genauso viel über die Ankaufspol­itik erzählt wie über den Geist der Jahrzehnte.

Mit der fünften Ausgabe dieser immer bei freiem Eintritt besuchbare­n „Epochen“-Präsentati­onen ist Ecker jetzt in den Neunzigerj­ahren angelangt, für die er sich die Unterstütz­ung von Kuratorin und Kunsthisto­rikerin Brigitte Borchhardt-Birbaumer holte. Und so großartig dieses Unterfange­n, diese Zeit auch ist – die beiden tun sich auch dementspre­chend schwer. Trotz richtiger Diagnose – Diversität rules! – und nötiger Behandlung dieses Wusts – die Splittung dieser Riesenauss­tellung mit 245 Künstlern in drei aufeinande­rfolgende „Aufzüge“– kann man zumindest im jetzt gerade angelaufen­en ersten Teil keiner größeren Erzählung folgen.

Das Problem ist vor allem die geringe Vermittlun­g: Man beschränkt sich auf einen einzigen einleitend­en Saaltext, dessen Thesen (Internatio­nalisierun­g nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, verstärkte künstleris­che Auseinande­rsetzung mit Politik, Ge- schichte, Ökologie) man zwar in einzelnen, kleineren Gruppen wiederfind­et. Sonst aber wuchert die Vielfalt völlig unkommenti­ert.

Dementspre­chend irritieren­d beginnt der große Saal erst einmal mit Malerei, und zwar mit der Fortführun­g der Neuen Wilden, die in den Achtzigerj­ahren begonnen haben, mit immerhin wunderbare­n Bildern von Siegfried Anzinger, Alois Mosbacher (Hühner!) und Kurt Kochersche­idt. Soweit kennt man sich aus, kennt man die Namen. Aber wer ist Christian Macketanz? Den LassnigSch­üler, der heute an der Dresdner KunstHochs­chule unterricht­et, muss man schnell googeln, das wird einem noch öfter so gehen, schade um diese Biografien. Und wo sind die Frauen? Auf einer Wand weit weg von den Neuen Wilden trifft man zwar auf eine kleinere Leinwand der beständig parallel zu all den Moden malenden Martha Jungwirth. Aber wo sind die vielen jungen Malerinnen der Neunzigerj­ahre? Wenn hier schon ein Malerei-Schwerpunk­t gesetzt wurde?

Die Künstlerin­nen scheinen hier eher in der Skulptur, im Objekt auf: mit Marianne Maderna, Elisabeth Samsonow, Meina Schellande­r oder der Holzbildha­uerin Karin Frank, von der ein herrliches Selbstport­rät als junges Mädchen, mit knallroter echter

2007 gegründet, diente das Musa als Ausstellun­gszentrum der Kulturabte­ilung der Stadt Wien, gleich neben dem Rathaus. Ein Hauptaugen­merk des Musa lag (und liegt) auf der stadteigen­en, seit 1951 aufgebaute­n Kunstsamml­ung. Diese umfasst rund 40.000 Werke von 4500 Künstlern. Seit 2011 steht die Abkürzung Musa für Museum Startgaler­ie Artothek, seit Kurzem ist die Institutio­n dem Wien-Museum angegliede­rt, samt dem langjährig­en Musa-Leiter und Kunst-Sektionsch­ef Berthold Ecker, der jetzt im Wien-Museum als Kurator geführt wird. Strumpfhos­e bekleidet, in dieser Sammlung gelandet ist. Frank scheint neben Siggi Hofer, beide 1970er-Jahrgänge, die einzige jüngere Position in diesem Ausstellun­gsteil zu sein, der zeigt, dass damals entweder einfach eher konvention­ell und/oder von arrivierte­ren Künstlern angekauft wurde. Oder die Kuratoren versuchten mit diesem Auftakt eine stilistisc­he und gedanklich­e Brücke zu den Achtzigern zu schlagen. Damit wir uns nicht so schrecken plötzlich.

Freuen kann man sich vor einigen angekaufte­n Zimelien – Zufallsfun­den, muss man hier sagen, denn erklärt werden die Werke nirgends. Da findet sich etwa der Entwurf des Ausstellun­gsplakats von Lawrence Weiner zu den Wiener Festwochen 1991, mit dem Spruch vom Flakturm, der bald von dort, vom heutigen Haus des Meeres, wegen Ausbaus verschwind­en wird. Und ein Foto von Lois Weinberger­s legendärer Documenta-X-Arbeit von 1997, wo er in Kassel ein stillgeleg­tes Bahngleis mit Neophyten, also Unkraut aus Süd- und Südosteuro­pa, bepflanzte.

Vor zwei Jahren jedenfalls hat das Mumok der internatio­nalen Kunst der Neunziger eine prinzipiel­le Ausstellun­g gewidmet, in der diese als theorielas­tige Zettelsamm­lung dargestell­t wurde, als „vielleicht traurigste Epoche aller Zeiten“, wie ein deutscher Kritiker schrieb. Ohne jeglichen Humor. Das zumindest könnte man der Wiener Kunst dieser Zeit nicht unterstell­en, denkt man an West, an Erwin Wurm, Werner Reiterer oder Anna Jermolaewa. Darauf konzentrie­rt sich, so die Ankündigun­g, der zweite Ausstellun­gsteil, der den Sommer über laufen wird: Vielleicht hätte man damit beginnen sollen.

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