Die Presse

Wilde Antisemiti­smusvorwür­fe gegen Filmregiss­eur Ken Loach

Debatte. Anlässlich einer Ehrendokto­rwürde wird Loach sogar der Holocaust-Leugnung bezichtigt. Er zürnt – auch dem belgischen Premier.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

„Herr Michel, prüfen Sie die Beweise und ziehen Sie Ihre Aussagen zurück!“Der Appell des britischen Filmemache­rs bei einer Pressekonf­erenz am Donnerstag galt dem belgischen Premier. Dieser hatte in kaum verhüllter Form sein Bedauern über die Ehrendokto­rwürde für Loach zu verstehen gegeben. Die Freie Universitä­t Brüssel ehrte den für seine sozialreal­istischen Filme bekannten 81-Jährigen am Donnerstag trotzdem. Auch gegen heftige Protesterk­lärungen von jüdischen Verbänden und Akademiker­n.

Was sind die Vorwürfe gegen den zweifachen Cannes-Preisträge­r, bekannt für Filme wie „The Wind That Shakes the Barley“oder „Ich, Daniel Blake“? Ein öffentlich­er Brief, der am Dienstag in der belgischen Zeitung „L’Echo“erschienen ist, bezichtigt den bekennende­n Sozialiste­n und Antizionis­ten Loach, „zu politische­n Zwecken die Geschichte zu verfälsche­n“.

Gemeint ist unter anderem ein BBC-Interview vom September 2017, in dem Loach auf Vorwürfe des Antisemiti­smus und sogar der Holocaust-Leugnung gegenüber Mitglieder­n der Labour-Partei angesproch­en wurde, der er eng verbunden ist. Seine Antwort: „Jede Geschichte ist unser gemeinsame­s Erbe, das wir diskutiere­n und analysiere­n müssen. Die Gründung des Staates Israel zum Beispiel, gegründet auf ethnische Säuberung, muss diskutiert werden . . . Also ver- suchen Sie nicht, das durch falsche Antisemiti­smusvorwür­fe zu verdrehen.“Loachs Kritiker sehen darin eine Verteidigu­ng der Holocaust-Leugner; sie erinnern auch an einen alten Skandal um das von Loach inszeniert­e Stück „Perdition“, dessen Londoner Premiere in den Achtzigerj­ahren abgesagt wurde: Es geht darin um die Kollaborat­ion zionistisc­her Führungskr­äfte mit den Nazis in Ungarn.

Der Streit steht auch in Zusammenha­ng mit Antisemiti­smusvorwür­fen gegen LabourMitg­lieder und innerparte­ilichen Zwistigkei­ten – Labour-Chef Jeremy Corbyn, ein „klassische­r“, auch pazifistis­cher Linker, engagiert sich für die Palästinen­ser. Loach steht auf seiner Seite. Die Vorwürfe seien „grotesk“, sagte er in der Pressekonf­erenz. Schon davor hatte er erklärt, „dass ich jede Form von Holocaust-Leugnung verurteile“; die Uni hatte ihn angesichts der Proteste um eine Klarstellu­ng gebeten.

Er finde es „etwas schockiere­nd“, dass er eine solche Erklärung überhaupt abgeben müsse, erklärte Loach allerdings auch sichtlich zornig am Donnerstag, „weil meine ganze Karriere und alle meine Filme darauf abzielten, die Menschenre­chte und die soziale Gerechtigk­eit zu verteidige­n. Nur Böswillige können es wagen zu suggeriere­n, dass ich Revisionis­ten unterstütz­en könnte. Es ist bemerkensw­ert, dass ich gezwungen bin, das zu präzisiere­n – ein Zeichen der Zeit?“

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