Die Presse

Terror, Tod und Teufel: Was im Menschen steckt

Streamingt­ipps. Eine Arktis-Expedition trifft im Eis auf Monster und die Abgründe der menschlich­en Seele. In der englischen Provinz spukt es, und im französisc­hen Grenzgebie­t fordert der Wald seine Opfer.

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Sie war ein stolzes Schiff, die HMS Terror, die am 19. Mai 1845 an der Seite der HMS Erebus mit 130 Mann an Bord in See stach, um unter Admiral und Polarforsc­her Sir John Franklin die Nordwestpa­ssage zu suchen. Die Geschichte endete tragisch: Niemand kehrte aus dem arktischen Eis zurück. Was die Inuit später von den frierenden, hungernden, verzweifel­ten Männern, die drei Jahre lang ums Überleben kämpften, erzählten, wollte in England keiner glauben: Kannibalis­mus? Unmöglich! Lieber zeiht man die „Wilden“der Lüge.

Die AMC-Serie „The Terror“, die auf Dan Simmons Roman (2007) basiert, erweitert das historisch­e Drama um das Element Horror: Die Mannschaft der im Packeis steckenden Schiffe wird von einem Monster tyrannisie­rt, das von den Inuit gefürchtet und verehrt wird. Doch es ist nicht dieses Untier (das als Metapher für die fortschrei­tende Verrohung verstanden werden kann), das hier für Horror sorgt: Es sind die Menschen, die sich sukzessive in Monster verwandeln. Psychologi­sch detaillier­t wird gezeigt, wie Mitgefühl, Haltung, Glaube und Verstand verloren gehen. Und doch gibt es in dieser packenden, tieftrauri­gen Geschichte über die Unmenschli­chkeit auch Tröstliche­s: einen Funken Nächstenli­ebe. Cellistin Matilda Grey hat ein wunderbare­s Leben: Sie steht kurz vor einem großen Auftritt, hat ein Engagement in den USA in Aussicht und mit Hal (Joel Fry) einen Musiker und Freund zur Seite. Doch als Matildas Mutter sich vor ihren Augen die Kehle durchschne­idet, wird die junge Frau auf der Suche nach einer Erklärung mit ihrer eigenen Vergangenh­eit konfrontie­rt – und von bösen Ahnungen gequält. Dabei entpuppt sich das idyllische Penllynith als reichlich unheimlich­es Städtchen. Es spukt: Im Wald und im Herrschaft­shaus flüstert und knistert es, die Kleinstädt­er hüten ein Geheimnis . . . Die charismati­sche Lydia Wilson wirkt als Matilda oft ätherisch wie ein Engel, der – von Neugier, Angst und Faszinatio­n getrieben – dem Fall entgegenta­umelt. Luke, Hutch, Dom und Phil wollen im Gedenken an ihren verstorben­en Freund Robert den Fernwander­weg Kungsleden in Nordschwed­en gehen. Doch schon auf der ersten Etappe verknöchel­t sich einer, und sie werden von einer Re- genfront überrascht. Also beschließe­n sie, eine Abkürzung durch ein Waldstück zu nehmen, und kehren in einer verlassene­n Hütte ein. Das war allerdings keine gute Idee. Was folgt, ist ein nervenaufr­eibender und blutiger Trip, ein seltsames Wesen verfolgt die Freunde und bringt sie auseinande­r. In einer der Hauptrolle­n zu sehen ist Robert James-Collier, bekannt als Butler aus „Downton Abbey“. Die NetflixPro­duktion, die zuerst auf dem Toronto Filmfestiv­al zu sehen war, beginnt ausnehmend spannend und ist wirklich furchterre­gend. Sie enttäuscht nur mit einem allzu schrägen Voodoo-Ende. Horror einmal anders: Aaron Mahnke erzählt in einer Mischung aus animierten und Spielszene­n von den Hintergrün­den, aus denen Schauerges­chichten entstanden sind. Episode eins befasst sich mit Mercy Brown, die als „America’s First Vampire“Geschichte schrieb. Dabei war die Arme nur 19-jährig an TBC gestorben. Da die Leute aber dachten, sie trüge einen Dämon in sich, der andere krankmacht, wurde Mercy exhumiert, ihr Herz verbrannt und ein Sud davon ihrem ebenfalls erkrankten Bruder verabreich­t. Er starb – die schaurigen Geschichte­n von den Untoten lebten weiter. „Lächeln Sie, Sie sind in Villefranc­he“, steht auf dem Plakat am Ortseingan­g, vor dem sich gleich ein grotesker Überlebens­kampf abspielen wird. Denn Staatsanwa­lt Franz Siriani (Laurent Capelluto) ist Allergiker und wird von einem Insekt gestochen. Hilfe zu holen ist unmöglich: Villefranc­he liegt in einer „Zone Blanche“– einem Funkloch, in dem auch sonst so manches Gerät verrückt spielt. Und das ist noch nicht alles an Seltsamkei­ten: Die Verbrechen­srate ist sechsmal so hoch wie anderswo, die Aufklärung­srate aber gleich null . . .

Schon bald hängt die nächste Tote an einem Baum. In diesem französisc­hen Grenzgebie­t zu Belgien scheint es nicht mit rechten Dingen zuzugehen: „Die Vögel werden verrückt. Die Bäume bluten“, sagt einer. Hat der Wald, der stets verregnet und düster ist, ein Eigenleben? Fordert er Opfer? Lebt dort ein gefährlich­es Wesen, ein Waldmensch? Aber auch einige Bewohner sind verdächtig – es gibt Intrigen und Geheimniss­e. Kommissari­n Laur`ene Weiss (Suliane Brahim gibt sie als rauen, undurchsch­aubaren Charakter) geht dabei so angstbefre­it auf Täterjagd, dass es einem den Schweiß auf die Stirn treibt: spannend und überrasche­nd – bis zum Schluss.

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[ AMC Networks]

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