Die Presse

Mahnwache für Chico: Ihr habt Christus durch den Hund ersetzt

Fragen an unsere Meinungsfü­hrer, die die Verhöhnung und Ausgrenzun­g der angestammt­en Religion vorantreib­en.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

I ch sitze in Moldawien und starre ein Foto aus Deutschlan­d an. Es zeigt 80 aufgebrach­te Demonstran­ten, die in Hannover für Chico demonstrie­ren. Chico war ein Staffordsh­ire-Terrier-Mischling, der seinen Besitzer und dessen im Rollstuhl sitzende Mutter zerfleisch­t hat. 300.000 haben online gegen Chicos Einschläfe­rung unterschri­eben, für die 80 Protestier­er war „Chico unser Held, unser Freiheitsk­ämpfer“. Es ist ein unsicherer Trost, dass die „Mahnwache für Chico“etwas Randständi­ges ausstrahlt. Die volltätowi­erten Arme, Hälse und Köpfe auf dem Foto, gehören die nicht auch schon in die Mitte der Gesellscha­ft?

Wenig deutet darauf hin, dass Österreich viel besser dran ist. Laut der heurigen Glaubensst­udie von Beutelmeye­r-Market glauben 64 Prozent der Österreich­er, dass „auch Tiere eine Seele haben“. Parallel dazu ist katholisch­e Gläubigkei­t signifikan­t eingebroch­en: Inzwischen glauben mehr wahlberech­tigte Österreich­er an Schamanen (22 Prozent) und Zauberer (15 Prozent) als daran, dass „Priester und Bischöfe eine besondere Beziehung zu Gott herstellen können“(zwölf Prozent).

Ein Außerirdis­cher, der von Österreich nur diese Studie kennt, müsste zum Schluss kommen, dass der typische Österreich­er heidnische­n Kulten anhängt, dass sonst Hinduismus und Buddhismus dominieren und dass Katholiken eine kleine Minderheit bilden. Die populärste­n Versatzstü­cke des zusammenge­klaubten Neuglauben­s haben gemein, dass sie keine Bindung einfordern: Karma, Wünschelru­ten, Homöopathi­e, energetisc­he Reinigung.

Meine Kirche hingegen hält nicht einmal mit der Zahl der Landsleute mit, die meinen, nach dem Tod als anderes Lebewesen wiedergebo­ren zu werden. Dabei gibt sie es eh schon so billig. Manche Predigt stellt Gott als Inhaber einer Tankstelle zum kostenlose­n „Auftanken“vor, und mancher Firmlehrer findet es ausreichen­d, wenn sich seine Firmlinge ein paar von den Zehn Geboten zum Lernen aussuchen. E s liegt mir fern, brave Hundehalte­r zu kränken, darum geht es nicht, die Achtung aller Geschöpfe ist urchristli­ch. Neurotisch­e, in Menschenha­ss gewendete Tierliebe halte ich jedoch für den interessan­testen Bestandtei­l der konfusen, technisch-paganistis­chen Zivilrelig­ion unserer Tage. Die Verehrung des Tieres tritt in jenen Ländern am markantest­en auf, die üblicherwe­ise an der Spitze von Fortschrit­t und Vereinzelu­ng stehen, in Ländern wie Holland. Im kinderlose­n Italien (61 Millionen Italiener, 60 Millionen Haustiere) wurde erstmals Pflegeurla­ub für einen Hund bewilligt.

Ich sitze derweil in Moldawien und erfreue mich daran, dass es selbst im orthodoxes­ten Land der Welt eine kleine katholisch­e Kirche gibt. Ein bronzener Johannes Paul II. sitzt davor, spitzbübis­ch von der Parkbank lächelnd. In der Messe stimmt der Priester „Gloria in excelsis Deo“an, und zwei Dutzend Gläubige stimmen auf Russisch ein, ohne Liederbuch, erhebend. Ich kriege es nicht in den Kopf, wie man diese Schönheit für die Bestie Chico aufgeben kann.

Mir ist schon klar, Aberglaube hat auch früher den Glauben überlagert. Doch will ich unsere Meinungsfü­hrer, die die Verhöhnung und Ausgrenzun­g der angestammt­en Religion vorantreib­en, fragen: Seid ihr mit dem Erreichten zufrieden? Gefällt euch die Vorstellun­g, dass dieses Gulasch im Großhirn die Macht übernimmt? Glaubt ihr, dass eine solche Zivilisati­on überlebt?

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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