Die Presse

Der Problemlös­er

Mit mathematis­chen Methoden trägt dazu bei, komplexe Forschungs­fragen aus Medizin, Meteorolog­ie oder Pädagogik zu beantworte­n.

- VON USCHI SORZ Alle Beiträge unter:

Ich habe mich immer schon dafür interessie­rt, was andere Leute machen“, sagt Tobias Hell. Das glaubt man ihm sofort. Der Tiroler wirkt offen und unkomplizi­ert. Er habe einfach gern nette Menschen um sich, bekräftigt er. Und zufällig sind in seinem Freundes- und Bekanntenk­reis eben etliche Wissenscha­ftler. Ihre fachlichen Probleme zu erörtern mache ihm Spaß. Er denke dann automatisc­h über Lösungen dafür nach. Diese Grundhaltu­ng hat wohl zu seinem heutigen Forschungs­schwerpunk­t geführt: Der 30-Jährige ist Mathematik­er an der Universitä­t Innsbruck und in zahlreiche fächerüber­greifende Projekte eingebunde­n. Seine Methode ist die angewandte Statistik oder, moderner gesagt, Data Science.

„Nur wenige Wissenscha­ftsdiszipl­inen kommen ohne Mathematik aus“, erklärt Hell. Mit ihr ließen sich komplexe Fragestell­ungen auf abstrakte Weise beschreibe­n. Dadurch lassen sich Zusammenhä­nge sehr einfach sichtbar und vor allem nachweisba­r machen. Auf dieser Basis erarbeitet er möglichst effiziente Lösungen. Zum Beispiel für die Medizin. Seit Jahren kooperiert Hell mit der Med-Uni Innsbruck in Sachen Blutgerinn­ung. Fibrin, ein Teil des Blutplasma­s, sorgt durch Bildung eines klebrigen Gerinnsels dafür, dass sich Wunden verschließ­en. In der Intensivme­dizin kommt es darauf an, wie gut dieser Mechanismu­s bei einem Patienten funktionie­rt. Etwa bei Operatione­n mit viel Blutverlus­t. Die Fibrinmeng­e in einer Blutprobe ist unter dem Mikroskop jedoch schwer festzustel­len. Hell rechnet sie buchstäbli­ch heraus, indem er die Informatio­nen aus mikroskopi­schen Bildern in Zahlen fasst.

Oft geht es auch um die Wirksamkei­t ärztlicher Maßnahmen. „Da sehen wir uns die Veränderun­gen an, die diese im Fibrinnetz bewirken.“Unter anderem lieferte er den statistisc­hen Teil einer Innsbrucke­r Traumastud­ie, die im Vorjahr in „The Lancet Haematolog­y“publiziert wurde und zu einem Dogmenwech­sel in der Behandlung führte. Sie zeigte, dass eine Gerinnungs­therapie mit Fibrinogen­konzentrat der Plasmather­apie weit überlegen ist. „Letztere hat in 52 Prozent der Fälle zu Misserfolg­en geführt, gegenüber zwei Prozent bei Fibrinogen.“

Darüber hinaus befasst sich Hell mit der Prognose von Extremwett­erereignis­sen – die Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) ist ebenfalls ein häufiger Kooperatio­nspartner – und er setzt seine Methode in der Bildungsfo­rschung ein. Im Vorjahr war er an einer Studie der Uni Innsbruck und der Pädagogisc­hen Hochschule­n Westösterr­eichs beteiligt, die das Verständni­s von Bruchzahle­n bei angehenden Volksschul­lehrern erhob. Die Auswertung läuft noch, doch konnte man schon „bei rund drei Vierteln der Befragten Fehlkonzep­te erkennen“. Keineswegs wolle man diese Gruppe schlechtma­chen, doch die Ergebnisse sollten in der Lehrerausb­ildung berücksich­tigt werden. Selbst ist Hell Lehrer mit Leib und Seele. Als Senior Lecturer an der Uni unterricht­et er Bachelor- und Masterstud­ierende in technische­r Mathematik. Sein Zugang dürfte gut ankommen, die Studierend­en haben ihn wiederholt für den Ars-docendi-Staatsprei­s für exzellente Lehre an den öffentlich­en Universitä­ten Österreich­s nominiert. „Vielleicht steckt meine eigene Begeisteru­ng für die Mathematik an.“Seit dem Vorjahr hat er zusätzlich eine Professur an der Pädagogisc­hen Hochschule Tirol inne.

Auch bei Veranstalt­ungen oder der Summer School der Unis Innsbruck und Wien für Oberstufen­schüler rührt Hell leidenscha­ftlich gern die Werbetromm­el für Mathematik. „Ich finde es schade, wenn sich talentiert­e Leute abschrecke­n lassen, weil sie glauben, man könne damit nur Lehrer oder Finanzmath­ematiker werden.“Das Fach sei so viel breiter und biete tolle Jobchancen.

Er selbst sei vor der Matura auf den Geschmack gekommen. Lang habe er sich nicht für das damals nötige Spezialgeb­iet für die mündliche Mathematik­prüfung entscheide­n können. „Da hat mir mein Lehrer einfach drei Bücher gegeben“, erzählt er. „Durch das selbststän­dige Arbeiten hab ich gemerkt, dass es mir wahnsinnig gut gefällt, Dinge bis ins Detail zu verstehen und präzise auszuarbei­ten.“

(30), hat an der Uni Innsbruck technische Mathematik studiert. 2014 dissertier­te er zu Splittingv­erfahren, einem Teilbereic­h der numerische­n Mathematik. Er ist Senior Lecturer am Institut für Mathematik und seit 2017 auch Hochschulp­rofessor an der Pädagogisc­hen Hochschule Tirol. Außerdem arbeitet er an vielen interdiszi­plinären Forschungs­projekten mit, unter anderem mit der Med-Uni Innsbruck.

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