„Ein verwunschener Prinz“
QMögen zwar die Intentionen Wagners auf ein modernes und effizientes Verkehrssystem in der Großstadt gezielt haben, die realisierte Wiener Stadtbahn konnte alles in allem kaum als ein solches gelten. Der Schriftsteller Alfred Hermann Fried verglich 1908 die Stadtbahnen in Wien und Berlin. In den Stationen der deutschen Hauptstadt verspürte er den „Rausch der Technik“. Nicht so in Wien: „Wie ein verwunschener Prinz irrt jetzt diese Stadtbahn rings im Kreise um jene Stätten herum, die man gemeinhin als die Zentren des städtischen Lebens bezeichnet. Wenn das der Pulsschlag des Wiener Lebens ist, den man auf den Stationen der Wiener Stadtbahn ,tosen‘ hört, so liegt Wien in der Agonie.“
Wiewohl die Stadtbahn als Vorläufer der U-Bahn und Schnellbahn in Wien betrachtet werden kann, erwies sie sich zunächst also nur mäßig als Massen- und Schnellverkehrsmittel der Großstadt. Die Potenziale der ersten kreuzungsfreien Verkehrsanlage Wiens konnten erst mit einiger Verzögerung realisiert werden: Mitte der 1920erJahre wurde sie in kommunaler Regie endlich elektrifiziert und ins Tarifsystem der Straßenbahnen integriert. Bei der Errichtung der ersten „richtigen“U-Bahnen im Laufe der 1970er-Jahre machte man sich streckenweise das Stadtbahnnetz zunutze, später kam auch die U6 sowie die wiedereröffnete Vorortelinie als Schnellbahn hinzu.
Die Wiener Stadtbahn mag zwar architektonisch und städtebaulich die Entwicklung Wiens zur modernen Großstadt repräsentieren, doch war ihre Anlage insgesamt anachronistisch. Gerade diese Janusköpfigkeit freilich macht die Wiener Stadtbahn, zumindest in der Rückschau, noch bemerkenswerter. Sie verkörperte die viel zitierten Paradoxien der Wiener Moderne um 1900. So gesehen, und das ist die Ironie der Geschichte, hätten die historistischen Stationsentwürfe Neumanns zum Fahrbetrieb der Stadtbahn fast besser gepasst . . .