Gespenster, Schemenhaftes
tigem Leben“, wie er die Literatur bezeichnet, die für ihn gegenüber dem Leben irrelevant ist. Als Weidel behauptet er dem Konsul gegenüber, dass er nie mehr schreiben werde, sondern ein Handwerk ausüben.
Die Autorin Seghers allerdings zeigt an seinem Exempel das Gegenteil: Die Fluchtund damit Überlebenschancen des Erzählers resultieren aus der von ihm übernommenen Schriftstelleridentität, aus der literarisch-politischen Haltung eines Mannes, der sich gegen das Nazi-Regime stellte. Der IchErzähler nimmt eine doppelte falsche Identität an, indem er zuerst einen falschen Namen angibt, dann für Weidel gehalten wird. Da er nun aber in der Rivalität mit einem Toten um dieselbe Frau wirbt, übernimmt er zugleich Trauer und Leid der beiden. In den Wartestuben und Cafes´ bekommt er viele Geschichten Geflüchteter erzählt, immer geht es darum, den nächsten Schritt zu schaffen, um die Behinderungen und Missgeschicke, die tödlich enden können.
Das Spiel um die doppelte Beglaubigung seiner Identität teilen Seghers und ihr IchErzähler im Roman. Die Autorin begann schon in der Hafenstadt, ihre eigene Fluchtgeschichte und die vieler anderer Emigranten transitär in Literatur zu verwandeln. Der Erzähler möchte bei sich bleiben, als junger Mensch sich entwickeln.
Als Seghers den Text ihrem Verleger in die USA schickte, antwortete dieser begeistert, dass man in Hollywood an Ähnlichem arbeite. Er meinte „Casablanca“, einen Film, den Anna Seghers schließlich sehr mochte. Geschichten über Exil und Flucht, die am Hafen spielen, an Orten der möglichen, aber vielleicht verschlossenen Abreise, wurden in den 1940er-Jahren einige geschrieben und verfilmt. Seghers’ antifaschistischer Roman „Das siebte Kreuz“gelangte nicht zuletzt dank seiner Verfilmung durch Fred
QFür uns sind die Flüchtenden meist Massen, Namenlose, die über die Grenze wollen, wohin auch immer, Tote, die im Meer ertrunken sind. Seghers und Petzold zeigen ihre Gesichter, geben ihnen Namen, auch wenn die Identität ungewiss bleibt, nichts, das von außen verordnet werden kann.
Über seinen immer noch gültigen Film „Die innere Sicherheit“aus dem Jahr 2000, der die Geschichte eines ehemals linksterroristischen Paars und der jugendlichen Tochter in der Gegenwart behandelte, sagte Petzold, dies sei wie die meisten seiner Werke ein Film über das Exil. Ursprünglich sollte der Film „Gespenster“heißen, diesen Titel verwendete er später für die Geschichte einer jungen Außenseiterin. Auch „Yella“, die Geschichte einer Frau, die aus dem ehemaligen Osten in die BRD übersiedelt und daran von ihrem Exmann gehindert werden soll, zeigt seine Hauptfigur als Geist oder Gespenst, zwischen Leben und Tod. Unbehaustheit und die Fragwürdigkeit der eigenen Identität verhandelt der Regisseur und Drehbuchautor immer wieder neu, präzis und tief berührend.
Anna Seghers wollte ihren Exilroman nicht auf „Totenreich und lebendiges Leben“reduziert wissen, auch nicht auf die Liebesgeschichte allein. Zwar hatten „gewiss die Leute, die von Konsulat zu Konsulat hetzten, etwas Schemenhaftes an sich. Viele von ihnen gingen später echt zugrunde“, wie die Autorin an einen Rezensenten schreibt. Sie habe aber wie Balzac über alle wichtigen Ausschnitte des Lebens wie „Widerstandskampf, Emigration, Flucht usw.“schreiben wollen – ohne allzu symbolhaft zu sein und ohne eines gegen anderes aufzurechnen. Der Film „Transit“zeigt dies als eine Entwicklungsgeschichte: Einer lernt, Mensch zu sein – auch wenn es die Umstände nicht zulassen.