Krapfen statt Torte
Ein Sachbuch mit dem Titel „Die Donut-Ökonomie“macht neugierig. Worüber will es aufklären? Ein Donut ist doch bloß ein Krapfen – mit einem Loch. Was ist unter dem Wort „Ökonomie“zu verstehen? Das Deutsche ist nicht eindeutig. Darunter kann man die Wirtschaft verstehen, englisch: economy, oder auch die Wissenschaft von der Wirtschaft, englisch: economics. Der Originaltitel lautet „Doughnut Economics“.
Kate Raworth hat nach einem Studium von Philosophie, Politik und Ökonomie in Oxford drei Jahre lang in Sansibar in der Beratung von Mikroinvestitionen Erfahrungen über Entwicklung gesammelt. Danach hat sie für die UNO „Human Development Reports“geschrieben, und danach war sie zehn Jahre bei Oxfam wissenschaftlich tätig. In diesem Buch legt sie dar, wieso die gegenwärtige Ökonomie, im Sinn von economics, falsch ist. Sie stelle nicht die richtigen Fragen. Das einzige Ziel der Ökonomie sei Wirtschaftswachstum. Das hat Konsequenzen für die Wirtschaft im Sinn von economy: die Zerstörung der Umwelt, die steigende Ungleichheit, der Fortbestand von Armut trotz Wirtschaftswachstum.
Aus zwei Gründen ist dieser Ausgangspunkt fragwürdig. Erstens wird der Einfluss der Wirtschaftsanalyse auf Politik und gesellschaftliche Entwicklung von der Autorin stark überschätzt. Ökonomen stützen oft eine bestimmte Politik, aber andere bringen Gegenargumente. Weder beim Beschluss politischer Maßnahmen noch bei deren öffentlicher Diskussion haben Wirtschaftsanalysen dominierenden Einfluss. Zweitens, die Behauptung, dass die Wirtschaftsanalyse nur ein Ziel kenne, nämlich Wirtschaftswachstum, ist falsch. Raworth selbst führt Ökonomen an, die die Reduktion politischer Ziele auf Wachstum ablehnen. Es handelt sich nicht um kritische Außenseiter der Profession, vielmehr Professoren an guten Universitäten, sogar Nobelpreisträger.
Sieben Ansätze werden entwickelt. Erstens, das Ziel muss verändert werden, eben nicht nur die Vergrößerung des BIP. Zweitens, die Einbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft ist zu beachten. Drittens, die Ziele der Menschen können nicht auf Maximierung von Einkommen reduziert werden. Viertens, der Dynamik der Systeme muss Rechnung getragen werden. Fünftens, Verteilungsgerechtigkeit muss ein Ziel sein; ebenso, sechstens, Nachhaltigkeit. Letztlich empfiehlt die Autorin eine agnostische Haltung gegenüber Wachstum. Mit diesem Buch ist Kate Raworth ein Star der ökonomiekritischen Gesinnung geworden.
Was ist daran neu? Nichts. Dass durch den Klimawandel Katastrophen drohen, ist seit Langem bekannt. Das Gleiche gilt für die in den meisten Staaten steigende Ungleichheit. Dass Menschen nicht nur rationale Maximierer sind, ist seit 40 Jahren Thema eines immer stärker werdenden Forschungszweiges der Ökonomie. Die Autorin führt prominente Arbeiten an. Ihre Mitarbeit am „Human Development Report“macht die Kenntnis dieser Richtungen unvermeidlich.
Neu ist der Donut. Im Buch sind das zwei konzentrische Kreise. Der innere Kreis ist die Grenze für gesellschaftliche Zustände. Das betrifft Gesundheit, Nahrung, Zugang zu sauberem Wasser, politische Teilhabe und so weiter. Wenn man davon zu wenig hat, ist man im Kreis des Mangels. Der äußere Kreis bildet die ökologische Grenze – Klimawandel, Übersäuerung der Meere et cetera. Diesen zu überschreiten führt zu Katastrophen. Im Kreisring dazwischen ist Entwicklung möglich und sinnvoll.
Gegen diese Veranschaulichung selbst ist nichts zu sagen. Sie mag helfen, Gedanken zu ordnen und zu systematisieren. Aber es bedarf der systematischen Analysen einzelner Punkte. In dem Buch ist nichts dazu zu finden. Ganz im Gegenteil. So klagt Raworth, dass in einem Kurs über Makroökonomie folgende vier Fragen als die zentralen dieser Teildisziplin der Ökonomie bezeichnet wurden: Was verursacht die Schwankungen des Wirtschaftswachstums? Was sind die Ursachen der Arbeitslosigkeit? Wodurch wird Inflation hervorgerufen? Wodurch werden die Zinssätze bestimmt? Ja, das sind die zentralen Fragen der Makroökonomie – und es ist gut, dass es Analysen dieser Fragestellungen gibt. Wären diese Theorien bereits 1929 zur Verfügung gestanden, so hätte man damals eine bessere Politik betreiben können. In den Jahren nach 2007 sind Banken gerettet und Staatsausgaben nicht reduziert worden, wie es nach 1929 geschah. Das hat die Welt jetzt vor einem ähnlich katastrophalen wirtschaftlichen Absturz wie damals gerettet. Sicher gibt es viele wichtige Fragen zu Wirtschaft und Gesellschaft, die nicht im Rahmen der Makroökonomie analysiert werden. Sie ist eben nicht die Ökonomie schlechthin, vielmehr eines ihrer Teilgebiete.
Das Bild vom Donut soll Beschränkungen der Fragestellungen vermeiden. Das ist kein schlechtes Ziel. Aber wie systematische Analyse damit umgehen soll, wird nicht einmal als Fragestellung aufgeworfen. Jedenfalls, nachdem Raworth den Donut entdeckt hatte, „fegte sie alle alten Lehrbücher vom Tisch“. Sie schreibt, dass große Ideen eine bildliche Darstellung verlangen, und führt den Taoismus, die Maoris, den Buddhismus mit ihren kreisförmigen Symbolen an. Die alten und fernen Kulturen können doch nicht falschliegen. Das indische Hakenkreuz wird nicht von ihr erwähnt. Kennt sie es nicht, oder war es ihr zu peinlich?
Die Donut-Ökonomie Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. Aus dem Englischen von Hans Freundl und Sigrid Schmid. 414 S., geb., € 24,70 (Hanser Verlag, München)
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