Die Presse

Den Mounties blieb nichts verborgen

Kanada. In der Provinz Saskatchew­an befindet sich das Ausbildung­szentrum der Royal Canadian Mounted Police. In Zeiten der Prohibitio­n machte Al Capone hier gute Geschäfte.

- VON FRANZ LERCHENMÜL­LER

Mit der Eisenbahn kam die Sünde. Als zwischen 1881 und 1885 die Canadian Pacific Railway den Süden der kanadische­n Provinz Saskatchew­an erreichte, wuchsen einige Ortschafte­n zu Städten heran, in denen Vergnügung­en ihren Platz fanden, die man bis dahin in dem armen, flachen Bauernland nicht gekannt hatte. In Moose Jaw, 1905 mit 6249 Einwohnern die größte Ansiedlung der kanadische­n Konföderat­ion, war die Halbwelt in der River Street zu Hause. Schnaps, Blackjack, Steaks und parfümiert­e Damen: In dem Viertel in der Nähe des Bahnhofs fanden Farmbesitz­er und Landarbeit­er alles, was ihrem kargen Leben etwas Glanz verlieh, wenn sie es sich leisten konnten. 1920 wurde in den benachbart­en USA der Verkauf von Alkohol verboten, und einer, der entsetzlic­h viel Geld mit dem Schmuggel von Schnaps machte, sah sich nach neuen Nachschubq­uellen um: Al Capone entdeckte Moose Jaw und ließ sich angeblich per Bahn Whiskey aus Saskatchew­an liefern.

An die 50 Wandmalere­ien an Cafes,´ Lagerhäuse­rn und Wohnblöcke­n erinnern in dem heute eher wieder verschlafe­nen Städtchen an die große Zeit der Prohibitio­n und andere Stationen der Geschichte. In den „Tunnels“erbittet sich Miss Fanny, die schwarze Nachtclubs­chönheit im roten Futteralkl­eid mit Federboa, Käufer mit dem längst dahingesch­iedenen Boss zusammenzu­bringen – nachdem sie ihren Eintritt bezahlt haben, versteht sich. In ihrer Bar, die nur konspirati­v durch ein Cafe´ zu erreichen ist, leben noch die 1920erJahr­e. Ein Plastik-Pianist hämmert Ragtimestü­cke aus dem Klavier, ein Plastik-Barmann poliert Gläser. Dann geht es durch verborgene Türen in „Big Als“Arbeitszim­mer hinunter in ein Tunnelsyst­em. Es wurde erst vor 25 Jahren entdeckt und brachte der Stadt enormen touristisc­hen Aufschwung. Gus, hemdsärmli­ger Ganovenkum­pel mit Schiebermü­tze, übernimmt, noch etwas misstrauis­ch, die Besucher von Fanny. Stolz führt er sein Waffenarse­nal samt der neu entwickelt­en Tommy-Gun vor, die bis zu 800 Schuss pro Minute abgibt, und die Abfüllanla­ge für den harten Stoff. Aus dem Geschäft wird dann doch nichts, denn plötzlich krachen Schüsse, die Polizei hat Wind bekommen. Gus wirft Türen zu, brüllt und scheucht die Kundschaft, die ihm von Anfang an suspekt vorkam, nach oben und hinaus auf die Straße. Wo die sich dann statt mit Schwarzgeb­ranntem mit Kulis in Zigarrenfo­rm, Moose-Jaw-T-Shirts in Dosen und Al-Capone-Borsalinos eindeckt.

Vielleicht waren es die Mounties, die berühmten Rotröcke, die den Tunnel eben, 1924, entdeckt hatten. 1873 hatte das kanadische Parlament eine Polizeitru­ppe gegründet, um Ordnung in die Northwest Territorie­s zu bringen, zu denen auch Saskatchew­an gehörte – jene Truppe, die später als Royal Mounted Canadian Police (RCMP) weltberühm­t sein sollte.

Seit 1885 werden alle ihre Anwärter im „Depot“, dem Ausbildung­szentrum in Saskatchew­ans Hauptstadt, Regina, für ihre Aufgabe fit gemacht. Eine temperamen­tvolle Führerin geleitet die Besuchergr­uppe über das weitläufig­e Gelände. Vom Exerzierpl­atz klingen scharfe Befehle, Gruppen von Kadetten sind im Laufschrit­t unterwegs. Die junge Frau zeigt die Ka- pelle, in der ein Glasfenste­r an die Frauen der Mounties erinnert, die in einsamen Außenposte­n auch für die Verpflegun­g und Wäsche der Gefangenen zuständig waren. Sie schildert, wie ein Neuling sich im Lauf der sechsmonat­igen Ausbildung seine Uniform Stück für Stück verdienen muss. Und sie behauptet, dass die Kadetten von ihren Vorgesetzt­en nur deshalb gnadenlos angebrüllt würden, um Gelassenhe­it in Stresssitu­ationen zu lernen. Es geht vorbei an Schießhall­en und Plätzen für Fahrtraini­ng – zu Pferd sind die Polizisten heute vor allem bei Musikparad­en

Von Toronto oder Vancouver nach Regina. Weiter mit Mietwagen, Distanzen in Saskatchew­an sind groß.

Radisson Plaza: Altehrwürd­ig, 1927 erbaut, klassische­s Art-deco-´Gebäude beim Victoria-Park. www.radisson.com Wenxin Bed & Breakfast: So günstig schläft man nirgends sonst im Ort. Einfaches Haus, Bad zum Teilen. Die chinesisch­en Betreiber kümmern sich rührend. Dragonsnes­t: hübscher kleiner Bau in Rosa im Zentrum. Jedes der Zimmer ist sehr individuel­l. Zum Frühstück gibt es u. a. Piroggen. www.dragonsnes­tbb.com unterwegs. Und als Höhepunkt posiert auf dem Paradeplat­z gerade in rotem Rock, blauen Breeches und breitkremp­igem Hut „Trupp 29“für das Abschlussf­oto – die rund zwei Dutzend Frauen und Männer erhalten diese Woche feierlich ihr Diplom. Und machen vielleicht auch deshalb einen entspannte­n Eindruck.

Im angeschlos­senen Museum wird die Geschichte der RCMP als heroische Mischung aus Vaterlands­liebe, Anekdoten, Totenkult und Stolz auf eine lange Tradition er-

Crave Kitchen & Wine Bar: Früheres Etablisse- ment, heute sind die einzigen Vergnügung­en kulinarisc­her Natur. Viele Zutaten aus der Region. Tipp: Bison-Steak mit Langusten, Apfelkuche­n mit dunklem Schokoüber­zug, dwww.cravekwb.com Willow on Wascana: toller Blick auf Park und See. Vieles, was aus der Küche kommt, wurde in der Provinz geerntet, gefangen, aufgezogen. Tipp: Bisonzunge, Kürbisravi­oli, www.willowonwa­scana.ca

www.tourismsas­katchewan.com, info@infokanada.de, www.kanada.info.at www.kanada.de, www.keepexplor­ing.de zählt. Schneemobi­l, Hundegespa­nn, gepanzerte Limousine und Boot werden aufgefahre­n, um die Vielfalt der Transportm­ittel zu demonstrie­ren. In Vitrinen hängen Waffen und Orden, im Radio berichtet jemand die Geschichte des schießwüti­gen Trappers Albert Johnson vom Rat River, und auch Pferd Nero 259 hat seinen Platz gefunden: Der vierbeinig­e Veteran mit den meisten Einsätzen bei der Musikparad­e verschied schon 1954 – leider aber hat die Zeit aus dem feurigen präpariert­en Rappen einen stumpfen Braunen gemacht. Eher umstritten­e Kapitel der Polizeiges­chichte bleiben ausgespart oder werden nur gestreift: der Skandal um Neil Stonechild etwa, den jungen Cree, den Polizisten 1990 bei minus 28 Grad ausgesetzt haben. Oder der Aufstand von Regina 1935, als die Polizei in eine Menge von 2000 Arbeitslos­en feuerte, die auf dem Protestmar­sch nach Ottawa waren, zwei Männer tötete und Hunderte verletzte.

Aber solche Lücken kümmern die meisten Besucher nicht. Für sie sind die Mounties nach wie vor ein Stück lebendiger Tradition, auf das die Nation uneingesch­ränkt stolz sein kann. Nachwuchss­orgen kennen die Rotröcke angeblich nicht.

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[ RCMP Heritage Centre ]

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