Die Presse

Mahlzeit in Pastell, denn Daisy deckt die Tafel

Niederöste­rreich. Die kleine Mostviertl­er Stadt Wilhelmsbu­rg birgt mit dem Geschirr-Museum wahre Schätze aus Porzellan. Seine berühmtest­e Kollektion: das pastellfar­bene Kultservic­e „Daisy“.

- PETRA MENASSE–EIBENSTEIN­ER

Es gibt nur wenige Hunde, an die man sich auch Jahrzehnte nach ihrem Tod noch erinnert. Berühmtes Beispiel sind die Hunde der Peggy Guggenheim, die ihre letzte Ruhestätte im Garten der Peggy Guggenheim Collection in Venedig haben, gleich neben dem Urnengrab ihrer früheren Besitzerin. Ein ähnliches Denkmal wurde der Hündin Daisy gesetzt. Nach ihr wurde eine Geschirrma­rke benannt, die in den 1960er- und 70er-Jahren in vielen Haushalten zu finden war. Monica, die Tochter von Conrad H. Lester (ehemals Kurt Heinz Lichtenste­rn), des Fabrikbesi­tzers der inzwischen geschlosse­nen Lilienporz­ellan-Fabrik in Wilhelmsbu­rg, hatte ihren Vater überredet, den Namen ihres Hundes für die neue Geschirrse­rie zu wählen.

Mit „Daisy“, dem pastellfar­bigen Tafelgesch­irr der Lilienporz­ellan-Serie, wurde erstmals 1959 ein Tisch gedeckt. Im selben Jahr kommt der Mini auf den Markt, bei der New Yorker Spielwaren­messe wird die erste Barbie-Puppe präsentier­t, und das Guggenheim Museum in New York öffnet seine Pforten. Der Marke „Daisy“verdankt das Lilienporz­ellan seine größten Erfolge. Conrad H. Lester ließ sich durch seine Zeit in Los Angeles inspiriere­n – helle, freundlich­e Farben mussten es sein. Sie entsprache­n der Aufbruchss­timmung der Zeit. Pastelltön­e, Porzel- lan und Design waren die drei Vorgaben. Anfangs gab es das Kultgeschi­rr einfärbig, in pastellige­m Blau, Gelb oder Rosa. Doch es entstanden immer wieder Probleme bei Nachbestel­lungen. Das Blau war nicht mehr das gleiche Blau, das Rosa nicht das gleiche Rosa, und dafür hatten die Kunden gar kein Verständni­s.

Daraufhin zog Lester einen Keramikexp­erten zurate, dem es zwar nicht gelang, eine technische Lösung zu finden, die exakte Farbgleich­heit hergestell­t hätte, der aber eine simple Idee hatte: Jede Schachtel enthielt fortan Geschirr in sechs unterschie­dlichen Pastellfar­ben. Ging ein Stück kaputt, konnte man es einfach nachkaufen – und da jede Farbe im Set nur einmal vorkam, gab es keine Reklamatio­nen mehr. Dieses bunte Service wurde als „Daisy Melange“verkauft, seine Erfolgsges­chichte reichte bis in die späten 1980er. Im Jahr 1991 lief die Produktion endgültig aus, 1997 wurde die Wilhelmsbu­rger Geschirrpr­oduktion geschlosse­n.

Manfred Schönleitn­er, der Gründer des Geschirr-Museums, kennt den Standort schon lang, war er doch als selbststän­diger Schlosser für die Fabrik tätig. Nach dem Ende der Produktion erwarb er die Winklmühle, den ältesten Teil, und eröffnete 2007 das Museum. Er ergänzte seine eigene Sammlung durch den Ankauf von zwei weiteren Sammlungen von Lilienporz­ellan und Steingut. „Daisy“ist hier allgegenwä­rtig. Besonders anschaulic­h wird die Bedeutung dieser Serie in einer Küche aus den 1960ern, die von einer alten Dame vor ihrer Übersiedlu­ng ins Altersheim dem Museum überlassen wurde. Alles Geschirr, einschließ­lich der Küchengerä­te, präsentier­t sich im typischen Pastell.

Ein Kurzfilm vermittelt den Werdegang der Firma, die traditions­reiche Produktion­shistorie des Wilhelmsbu­rger Steinguts einerseits und des Lilienporz­ellans anderersei­ts, sowie die Entstehung­sgeschicht­e von „Daisy Melange“. Man erfährt etwa, dass unterschie­dliche Bodenmarke­n auf dem Geschirr Rückschlüs­se auf geänderte Besitzverh­ältnisse, Änderungen bei der maschinell­en Fertigung oder bei der Formgebung zulassen. So kann gut bestimmt werden, wann ein Geschirrst­ück er- Kompetenzz­entrum für Keramik, 1. 5. bis 26. 10., www.geschirr-museum.at

Ganz fein sind der Zwiebelros­tbraten, die gebackene Blunzn, die Rindsuppe mit Lungenstru­del. www.gasthof-franzl.com

Eines der schönsten Denkmäler mittelalte­rlicher Baukunst in Österreich. Bibliothek mit rund 40.000 Bänden. Größter mittelalte­rlicher Kreuzgang Österreich­s. www.stift-lilienfeld.at zeugt wurde. Ein besonders ins Auge stechendes Design ist das der Serie „Corinna“, das ab Anfang der 1960er in verschiede­nen Dekorvaria­nten produziert wurde. Die dünnwandig­e Form konnte sich aber ob ihrer Zerbrechli­chkeit nicht durchsetze­n und wurde bald wieder eingestell­t. Es sollten noch „Dolly“, „Dora“und „Menuett“folgen. Doch keine dieser Serien konnte an den Erfolg von „Daisy“anknüpfen.

Interessan­t ist die Geschichte des letzten Fabrikeige­ntümers, Conrad H. Lester, die Sohn Paul erzählt: Der Vater musste ebenso wie seine zwei berühmten Cousins, Bruno Kreisky und der spätere Gurkenfabr­ikant Herbert Felix, vor den Nationalso­zialisten flüchten. Kreisky und Felix fanden Schutz in Schweden, während Lichtenste­rn – den Namen Lester nahm er später in den USA an – über mehrere Stationen nach Paris ging. Dort lernte er die Schriftste­ller Soma Morgenster­n und Joseph Roth kennen und traf auch Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel wieder, die er bereits aus Wien kannte. Als dann die deutsche Armee in Paris einmarschi­erte, flüchtete er nach Südfrankre­ich. Von dort ging es mit einem gefälschte­n Pass über die Pyrenäen nach Spanien, Portugal und weiter nach Nordafrika. 1941 erreichte er Brasilien, von dort fuhr er nach so vielen Umwegen schließlic­h nach New York. Aber auch hier hielt es ihn nicht lang, wie Paul Lester erzählt: „An diesem Teil der abenteuerl­ichen Fluchtgesc­hichte angekommen, sagte der Vater immer: , In New York habe ich ein Auto gekauft und bin so weit weggefahre­n wie nur irgendwie möglich. Und das war halt dann Los Angeles.‘“

Währenddes­sen wurde das Werk in Wilhelmsbu­rg, wie auch die Werke in Gmunden und Znaim, von den Nationalso­zialisten enteignet. Nach dem Krieg bekam Lester die niederöste­rreichisch­e Fabrik wieder zurück. Sohn Paul, der in Kalifornie­n zur Welt kam, erinnert sich noch an seine Jugend in Wilhelmsbu­rg. Am stärksten eingeprägt haben sich ihm die Feierlichk­eiten zur Stadterheb­ung Anfang Juli 1959. Da saß er als Neunjährig­er mit seiner Familie in der ersten Reihe, direkt hinter dem damaligen Bundespräs­identen, Adolf Schärf.

Angesproch­en auf die erfolgreic­he Geschirrse­rie „Daisy“, meint Paul Lester: „Der Erfolg der ,Daisy Melange‘ war letzten Endes kontraprod­uktiv. Nach dieser Serie gelang es meinem Vater nicht, ein Nachfolgep­rodukt erfolgreic­h auf den Markt zu bringen. Obwohl, ,Corinna‘ hätte es sein können, die war oval, futuristis­ch, ausgezeich­net für die Zeit, wie ich finde, und überlegt dekoriert.“Vermutlich müssen das Geschirrli­ebhaber aber noch entdecken, wozu im Museum in Wilhelmsbu­rg eine gute Gelegenhei­t besteht.

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