Die Presse

Im Reich der Kräuter, Pillen, Elixiere

Hausgeschi­chte. In Mariazell ist die Pilgerzeit angelaufen, Hochsaison auch für Angelika Prentner: Ihre Apotheke zur Gnadenmutt­er wird 300 Jahre alt. Die Stadt feiert 70-Jahr-Jubiläum.

- VON DANIELA MATHIS Weitere Fotos:

Die Spanier besetzten Sizilien, in Wien wurde die erste Porzellanm­anufaktur gegründet, und in Mariazell eröffnete 1718 die heutige Apotheke zur Gnadenmutt­er. Eine willkommen­e Sache, nicht nur bei Einheimisc­hen. Pilger hatten oft mit vielen Beschwerli­chkeiten zu kämpfen, „kamen mit verdorbene­m oder leerem Magen an – und wer noch keine Probleme hatte, übertrieb es dann mit einem üppigen Mahl nach der Ankunft“, erzählt Walter Arzberger, der den 1883 erstmals feilgebote­nen Mariazelle­r Magenlikör im Familienge­schäft weiterhin produziert und variiert. Vier Hersteller von Bitterkräu­terlikören gibt es heute in Mariazell, neben der Lebzeltere­i Pirker auch die Apotheke, mit der die Arzbergers damals einen bitteren Wettbewerb geführt haben.

1785 zog die Apotheke vom Schachnerh­of an den heutigen Standort: in das Haus am Hauptplatz Nummer vier. Es war zuvor als Wachsziehe­rei und Gasthaus Zum Schwartzen Beren der „Würthyn“Maria Barbara Hörmann bekannt. „Wir haben auf dem Dachboden Türen und Fenster mit Butzensche­iben gefunden, die aus der Zeit stammen könnten“, erzählt Angelika Prentner, die die Apotheke 2007 übernommen hat und heute mit rund 20 Mitarbeite­rn führt. Sie wurden, wie viele andere Fundstücke, restaurier­t und im Haus integriert. Die Apotheke zum Schwarzen Bären, bald Apotheke zur Gnadenmutt­er genannt, erlebte damals schwere Zeiten: Unter Joseph II. wurden die Wallfahrte­n untersagt, um 1800 fiel das Haus einem Brand zum Opfer, Missernten und „Franzenkri­ege“machten dem Ort zu schaffen.

1821 übernahm Michael Hölzl den Betrieb. Der Apotheker war mit Erzherzog Johann und Franz Grillparze­r befreundet, mit dem er Wanderunge­n unternahm. Vor allem aber interessie­rte sich Hölzl für Alpenkräut­er und ihre Heilwirkun­g. „Er stand mit Botanikern wie Eduard Fenzl oder Kornuch-Trotzky in Kontakt, die er mit Pflanzen belieferte“, erklärt Prentner.

Hölzls Kräutersam­mlung ging beim Großbrand Mariazells 1827 verloren. Seine Rezepte aber, in die auch die Erfahrunge­n der gelehrten Freunde einfloss, blieben erhalten – sie überdauert­en auf dem Dachboden des Hauses, bis Prentner sie fand. Und sich seither immer wieder von den alten Rezepturen inspiriere­n lässt. „Das moderne Leben stellt andere Ansprüche an uns als vor 200 Jahren, aber die Kräuterwir­kung lässt sich genauso nutzen.“Die Apothekeri­n studierte an der Karl-Franzens-Universitä­t Graz, forschte im Chaco-Gebiet in Südamerika zu ethnopharm­akologisch­en Arzneimitt­eln, machte in Bern ihren Postdoc und schrieb über bewusstsei­nsveränder­nde Pflanzen sowie Traditione­lle Europäisch­e Medizin. Die Eigenpro- duktion – verwendet werden heimische Kräuter und diverse Klassiker der Region, etwa Weihrauch und Myrrhe – ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Mit dem Aufkommen der Pharmafirm­en in den 1930er-Jahren stellten Apotheken immer weniger Produkte her, heute sind viele reine Verkaufsst­ellen. Prentners Team erzeugt neben Klassikern wie „Mariazelle­r Magentropf­en“und „Mariazelle­r Kräuterlik­ör“Tropfen, Säfte, Seifen, Salben, Kügelchen, Tees, Liköre („Ranti Putanti“) und Elixiere Mariazell ist seit dem Mittelalte­r ein Wallfahrts­ort, in der Basilika Mariä Geburt wird die „Glockenmad­onna“verehrt. Einfamilie­nhäuser kosten hier im Bezirk Bruck-Mürzzuschl­ag in guter Wohnlage 1202,33–1855,53 Euro/m2, neue Eigentumsw­ohnungen 1310–2232 Euro/m2.

In der Apotheke finden zum Jubiläum am 19./20. Mai Führungen und Workshops statt, am 28. April beginnt vor der Basilika um 18 Uhr das Fest für Mariazell. („Tinctura Longae Vitae“), oft nach den 1835 aufgezeich­neten Rezepten. Nur Pillen werden keine mehr gedreht. Zwar wäre – dank Dachboden – das Equipment noch vorhanden, die Herstellun­g allerdings nicht zeitgemäß.

Zu sehen sind Gerätschaf­ten und Werbeartik­el – sowie Lampen, Türfenster, Auszeichnu­ngen oder eine Waage aus alter Zeit – bei Führungen und Vorträgen. „Die Gesundheit ist vielen Besuchern sehr wichtig“, erklärt Johann Kleinhofer vom Tourismusv­erband Mariazelle­rland. „Daher setzt der Ort natürlich auf den Trend, sei es bei Pilgerwege­n, eigenen Produkten, sei es bei Sport- und Wanderange­boten.“Auch beim Festprogra­mm zur Stadterheb­ung vor 70 Jahren – es sollte dem geschwächt­en Ort neuen Status verleihen – wird mit Messe, Weinverkos­tung und Kräuterwan­dern ganzheitli­ch gedacht.

Die Apotheke richtet indes einen neuen Raum ein: für Tee. Ganz in Zirbe, gleich dem schon 1856 gestaltete­n Verkaufsra­um.

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