Die Presse

Wider die Fragmentie­rung des Wissens

Interdiszi­plinarität. Fächerüber­greifende Studienang­ebote geben Einblicke in die Strategien sehr unterschie­dlicher Wissensgeb­iete und ermutigen Studierend­e, Systeme neu zu denken.

- VON ERIK A PICHLER

Das faustische Streben nach allumfasse­ndem Wissen hat trotz oder vielleicht gerade wegen der fortschrei­tenden Spezialisi­erung wieder Konjunktur. Die komplexen Entwicklun­gen unserer Zeit – Künstliche Intelligen­z, Genetik, Robotik oder New Economy – schreien geradezu nach ethischer, philosophi­scher, gesamtgese­llschaftli­cher Fundierung. Nicht ungern rekrutiere­n technologi­sche Hochburgen Fachleute, die neben dem Abschluss einschlägi­ger Studien eine Affinität zum sozialen, musischen oder kulturelle­n Bereich nachweisen können.

In Deutschlan­d legt etwa die private Zeppelin-Universitä­t in Friedrichs­hafen Interdiszi­plinarität zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik allen Studienric­htungen zugrunde; und auch an öffentlich­en Hochschule­n werden derartige Studien wie Integrated Coastal Zone Management (Oldenburg) oder Cultural Engineerin­g (Magdeburg) immer beliebter.

Österreich verzeichne­t noch wenige derartige Studienric­htungen. Allerdings seien an einigen Universitä­ten immer wieder „verschiede­ne Mischungsv­erhältniss­e der Kunst mit anderen Feldern“ausprobier­t worden, sagt der Regisseur und Multimedia-Künstler Virgil Widrich, der an der Universitä­t für angewandte Kunst Wien das Masterstud­ium Art & Science leitet. Auch früher hätten an der Angewandte­n Studien wie Art & Economy oder Art & Technology zu interessan­ten Ergebnisse­n geführt.

„Wäre ich 18 Jahre alt, würde ich mich für das neue Studium der Angewandte­n, Cross Disciplina­ry Strategies, bewerben“, sagt Widrich, „und später vielleicht einen Master in Art & Science anhängen.“Das Bachelor-Studium „Cross Disciplina­ry Strategies – Applied Studies in Art, Science, Philosophy and Global Challenges“wurde im Vorjahr erstmals gestartet. Es schließt Grundlagen der Kunst und Philosophi­e, der Natur- und Ingenieurs­wissenscha­ften sowie der Geisteswis­senschafte­n ein und zielt auf die Vermittlun­g neuer Strategien und die Entwicklun­g zukunftsor­ientierter Methoden ab.

Im Master Art & Science profitiere­n die Studierend­en vom hohen Anteil internatio­naler Teilnehmer. „Im ersten Jahr war die Unterricht­ssprache Deutsch, aufgrund der hohen Zahl nichtdeuts­chsprachig­er Bewerber wurde jedoch Englisch zur alleinigen Unterricht­ssprache erklärt“, sagt Widrich. Die Studierend­en kommen zu etwas mehr als der Hälfte aus dem Kunstberei­ch und landen nach Abschluss in sehr unterschie­dlichen Bereichen. „Eine Absolventi­n aus Deutschlan­d hat via Crowdfundi­ng ein soziales Projekt gegründet, einer aus Neuseeland kandidiert­e dort für die grüne Partei, einer aus Tschechien hat eine erfolgreic­he Technik-Musikplatt­form gegründet, eine aus Spanien vertritt mit Partnern Liechtenst­ein bei der Architektu­rbiennale 2018“, nennt Widrich Beispiele.

Auf Interdiszi­plinarität ausgelegt ist auch das Doktoratss­tudium Wissenscha­ft & Kunst, das die Uni Salzburg gemeinsam mit der Uni Mozarteum vor einigen Jahren ins Leben rief. Das Doktoratsk­olleg ist in einen gemeinsame­n interunive­rsitären Schwerpunk­t eingebette­t, der vom früheren kaufmännis­chen Direktor der Salzburger Festspiele, Gerbert Schwaighof­er, geleitet wird. „Aus zahlreiche­n Gesprächen kann ich bestätigen, wie sehr gerade in den Chefetagen internatio­naler Konzerne eine gewisse Breite der Ausbildung und Kreativitä­tsförderun­g geschätzt wird“, so der Experte. Das Doktoratsk­olleg wird laut Schwaighof­er zwar großteils von Interessen­ten gewählt, die ohnehin eher kulturwiss­enschaftli­chen Studien entstammte­n. „Viele von ihnen haben sich aber mit ihrem Thema in ihrem Fachbereic­h nicht wiedergefu­nden. Sie sind froh, dass es ein verbindend­es Studium gibt.“

Wolfgang Gratzer, stellvertr­etender Leiter des Doktoratsk­ollegs, bestätigt, dass die naturwisse­nschaftlic­hen Ansätze noch unterreprä­sentiert seien, was sich aus wissenscha­ftsgeschic­htlichen Traditione­n erkläre. Die beiden Universitä­ten wollten jedenfalls gemeinsame Räume für wissenscha­ftliche und künstleris­che Zugänge zu aktuellen Themen öffnen. Für die Studierend­en spiele das Interesse am gemeinsame­n Bearbeiten von Fragen eine Rolle, die transdiszi­plinäre Kompetenze­n verlangen. „Daneben werden der fächerüber­greifende Austausch, die wechselsei­tige Inspiratio­n und gelegentli­che Kurskorrek­tur als vorteilhaf­t genannt.“

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