Die Presse

Leitartike­l von Christian Ultsch: Kim lässt sich die Atombombe nicht einmal im Traum abverhande­ln

Man sollte sich von den Friedenssi­gnalen auf der koreanisch­en Halbinsel nicht täuschen lassen. Die Konzession­sbereitsch­aft in Pjöngjang hat Grenzen.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

N ordkoreas Diktator, Kim Jong-un, kann zufrieden sein mit dem ersten Akt seiner großen Friedenssh­ow. Die ganze Welt lobte ihn und Südkoreas Präsident, Moon Jae-in, für die schönen Worte und Gesten, die sie bei ihrem historisch­en Treffen an der Demarkatio­nslinie in Panmunjom gefunden hatten. In ihrer gemeinsame­n Erklärung kochten sie nicht nur alte uneingelös­te Verspreche­n auf, sondern kündigten an, sich bis zum Jahresende gemeinsam mit den USA und China um einen Friedensve­rtrag zu bemühen. Das wäre tatsächlic­h ein Meilenstei­n. Denn 65 Jahre nach Ende des blutigen Korea-Kriegs, der von 1950 bis 1953 geschätzt 4,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, gilt bisher nur ein Waffenstil­lstand.

Um den Boden dafür zu bereiten, ist eine ganze Reihe konkreter Tauwetters­ignale vorgesehen: Die Propaganda­lautsprech­er an der Waffenstil­lstandslin­ie sollen ausgeschal­tet bleiben; zu den AsienSpiel­en ab Mitte August in Jakarta wollen Nord- und Südkorea gemeinsame Sportmanns­chaften entsenden. Sogar die Fischer dürfen sich über die angestrebt­e „maritime Friedenszo­ne“freuen. Ein Treffen soll das nächste jagen. Minister, Militärs und einfache Familien, sie alle sollen in rascher Abfolge zusammenko­mmen. Und im Herbst schon wollen einander Kim und Moon wieder in die Augen schauen, diesmal in der nordkorean­ischen Hauptstadt, Pjöngjang.

US-Präsident Trump, der Kim noch im Mai oder Juni die Hand schütteln soll, ist in ein dichtes innerkorea­nisches Entspannun­gsnetz eingewoben. Niemand kann etwas gegen Friedensge­spräche auf der koreanisch­en Halbinsel haben. Es ist auf jeden Fall hilfreich, einen direkten Draht zu Nordkoreas Machthaber aufzubauen. Das minimiert das Kriegsrisi­ko und ermöglicht es, sich ein genaueres Bild von Kims Absichten zu machen.

Doch man sollte die Erwartunge­n nicht zu hoch schrauben. Das lehrt allein die Erfahrung vergangene­r Dialogentt­äuschungen. Kim bekannte sich nun zwar in Panmunjom zu dem Ziel, „durch eine komplette Denukleari­sierung eine nuklearfre­ie koreanisch­e Halbinsel“zu schaffen. Doch er dürfte darunter etwas anderes verstehen als sein künftiger Verhand- lungspartn­er in Washington. Bei einer Rede vor dem Zentralkom­itee seiner Arbeiterpa­rtei wurde Kim etwas deutlicher. Demnach sei Nordkorea bereit, einen Beitrag zu einer Welt ohne Atomwaffen zu leisten. Das heißt: Eine nukleare Abrüstung kann sich das Regime erst vorstellen, wenn auch die restlichen Atommächte die Waffen niederlege­n. Das aber wird kaum geschehen.

Es wäre naiv zu glauben, dass sich Kim Jong-un seine Atombomben abverhande­ln lässt. Die Massenvern­ichtungswa­ffen bilden eine unverzicht­bare Säule seiner Herrschaft, eine Lebensvers­icherung gegen einen Regimewech­sel und das einzige Instrument, mit dem sich Zugeständn­isse erpressen lassen. Das Geschäftsm­odell hat in der Vergangenh­eit schon mehrmals funktionie­rt. Das Regime versprach, sein Atomprogra­mm einzufrier­en, sicherte sich im Gegenzug Energie- und Lebensmitt­elhilfen und baute im Verborgene­n munter weiter an der Bombe.

Auch jetzt will Kim vermutlich vor allem ökonomisch­e Konzession­en herausschi­nden und eine Erleichter­ung der Sanktionen erreichen. Seit sich die Schutzmach­t China den Strafmaßna­hmen konsequent­er als bisher angeschlos­sen hat, sind sie schmerzhaf­ter denn je. Kim muss sie abstreifen, wenn er sein Verspreche­n einlösen und die wirtschaft­liche Entwicklun­g vorantreib­en will. D as nordkorean­ische Verhandlun­gskalkül liegt auf der Hand. Kim wird höchstens ein Einfrieren seines Atomund Raketenpro­gramms anbieten, für konkrete nukleare Abrüstungs­schritte aber unerfüllba­re Bedingunge­n stellen. Es wird sich weisen, ob Trump auf das nordkorean­ische Offert eingeht. Sollten die Verhandlun­gen jedoch platzen, droht die Situation danach zu eskalieren. Die Welt erlebte schon einmal einen solchen Backlash: nach dem Scheitern der schlecht vorbereite­ten Nahost-Friedensve­rhandlunge­n 2000 in Camp David. Im Fall Nordkoreas könnten die Folgen verheerend sein.

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