Die Presse

Kerns schwierigs­ter 1. Mai

Analyse. Nach einem halben Jahr in Opposition weiß die SPÖ nicht so recht, wo sie steht. Die Zweifel an Christian Kern wachsen. Und von Wien ausgehend droht eine Verschiebu­ng im Machtgefüg­e der Partei.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Auf dem Spiel steht „eine gute Flasche Rotwein“. Christian Kern hat in der Ö1-Sendung „Klartext“vergangene Woche gewettet, dass er länger Parteichef bleiben wird als Heinz-Christian Strache in der FPÖ. Der Vizekanzle­r hielt dagegen.

Das Problem dabei ist, dass die Parteichef-Frage in der SPÖ nicht allein von Kern abhängt. Nicht, dass jemand schon aktiv an seiner Ablöse arbeiten würde, wie man das vor ziemlich genau zwei Jahren bei Werner Faymann getan hat. Aber die Gruppe jener, die keine Einwände hätten, wenn sich Kern eher früher als später in die Privatwirt­schaft verabschie­dete, wird größer. Aus der Deckung hat sich bisher nur der ehemalige Innenminis­ter und heutige Bürgermeis­ter von Purkersdor­f, Karl Schlögl, gewagt.

Für den – unwahrsche­inlichen – Fall eines baldigen Kern-Rücktritts kursiert bereits ein Plan B. B wie Bures. Die Zweite Nationalra­tspräsiden­tin, heißt es, könnte dann interimist­isch die Partei übernehmen und diese Bühne nutzen, um sich für die Bundespräs­identenwah­l 2022 in Stellung zu bringen. Was Doris Bures offiziell natürlich bestreitet.

Die Personalge­rüchte sind Ausdruck einer allgemeine­n Verunsiche­rung in der SPÖ. Vor dem Tag der Arbeit wissen die Sozialdemo­kraten nicht so recht, wo sie stehen. Für die Partei ist es der erste 1. Mai in Opposition, für Christian Kern der zweite als Parteichef und der erste als Opposition­sführer. In der Wählerguns­t stagniert die SPÖ in etwa auf Nationalra­tswahlnive­au (rund 27 Prozent), stabil vor der FPÖ, aber ebenso stabil hinter der ÖVP. Inhaltlich orientiert sie sich gerade neu: Im Herbst wird es ein neues Parteiprog­ramm geben.

Durchwachs­en ist auch die Bilanz nach vier Landtagswa­hlen. In Kärnten verfehlte Peter Kaiser nur knapp die absolute Mehrheit (und wurde so zu einer weiteren Personalre­serve für den Bund). In Niederöste­rreich und Tirol – beides keine leichten Pflaster für die SPÖ – gab es immerhin leichte Zugewinne. Nur Salzburg tanzte mit dem schlechtes­ten Ergebnis der Landesgesc­hichte aus der Reihe. Was Kern sehr verärgert haben soll. Die Verluste, heißt es in Wien, wären zu vermeiden gewesen. Anders als die Niederöste­rreicher etwa hätten es die Salzburger nicht geschafft, im Wahlkampf aufzufalle­n, weder mit Themen noch auf andere Weise.

Nicht alles nach Plan

Allerdings lief auch im Bund nicht immer alles nach Plan. Kern brauchte eine Weile, um sich daran zu gewöhnen, dass nun ein anderer Kanzler ist. Mittlerwei­le gelingt es ihm aber recht gut, die Partei von der Regierung abzugrenze­n. Wobei ihm die diversen FPÖAffären und das Rauchverbo­ts-Volksbegeh­ren zugutekame­n. Eigene Themen hat die SPÖ bisher nicht gesetzt. Das soll sich nun ändern. Demnächst will Kern einen alternativ­en Reformplan für die Sozialvers­icherungen vorlegen. Ende Mai oder Anfang Juni bricht er dann zu einer Tour durch die Bundesländ­er auf.

Bis dahin wird sich im Machtgefüg­e der SPÖ einiges verschoben haben. Michael Ludwig übernimmt am 24. Mai das Bürgermeis­teramt in Wien von Michael Häupl. Die 1.-Mai-Feierlichk­eiten stehen bereits im Zeichen des Abschieds und des Neubeginns. Häupl ist als Schlussred­ner auf dem Rathauspla­tz vorgesehen, Ludwig macht den Anfang. Dazwischen darf Christian Kern ans Mikrofon.

Die Symbolik passt. Die SPÖ befindet sich im Interregnu­m von Häupl zu Ludwig, inmitten des Umbruchs ihrer größten Landesorga­nisation – und wartet ab, wie sich der neue Bürgermeis­ter positionie­rt. Wird Michael Ludwig die Wiener SPÖ ein Stück nach rechts führen, um Wähler von der FPÖ zurückzuho­len? Davon ist auszugehen. Die burgenländ­ische SPÖ, die im Land mit den Freiheitli­chen koaliert, sieht in Ludwig bereits einen Verbündete­n. Gegen Christian Kern?

Kern und Ludwig jedenfalls hatten nicht den besten Start. Der SPÖ-Chef soll – was er dementiert – Klubobmann Andreas Schieder in Wien favorisier­t haben. Auch aus persönlich­en Gründen: Im Parlaments­klub gab es Spannungen zwischen den beiden. Mittlerwei­le hat man sich arrangiert. Wobei die Gerüchte nicht abreißen wollen, dass Schieder nächstes Jahr SPÖ-Spitzenkan­didat bei der EU-Wahl wird.

Und Kern? Möchte, wie er versichert, spätestens 2022 das Kanzleramt von Sebastian Kurz zurückhole­n. Dass eines der Motive hinter diesem Plan ein Mangel an lukrativen Jobangebot­en ist, nennt er eine bösartige Unterstell­ung. Und sollte es doch anders kommen: Eine gute Flasche Rotwein wird sich Christian Kern vermutlich leisten können.

 ?? [ APA/Punz ] ?? Sein zweiter 1. Mai auf der großen Bühne: 2017 war er Kanzler, nun ist er Opposition­sführer.
[ APA/Punz ] Sein zweiter 1. Mai auf der großen Bühne: 2017 war er Kanzler, nun ist er Opposition­sführer.

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