Die Presse

Laienricht­er sind oft überforder­t

Rechtspano­rama am Juridicum. Der Plan der Regierung für höhere Strafen bei Gewalt- und Sexualdeli­kten ist umstritten, wurden die Sanktionen doch schon öfter verschärft. Haben etwaige milde Urteile also vielleicht einen anderen Grund?

- VON PHILIPP AICHINGER

Die Regierung will Strafen bei Gewalt verschärfe­n. Aber haben milde Strafen vielleicht einen anderen Grund? Liegt es an Laienricht­ern?

Die türkis-blaue Koalition will strengere Strafen bei Sexualund Gewaltdeli­kten. Denn das Verhältnis zu den Vermögensd­elikten passe nicht. Eine These, die nicht ganz neu sei, wie Strafrecht­sprofessor Robert Kert beim letztwöchi­gen Rechtspano­rama am Juridicum betonte.

Schon beim Strafrecht­sänderungs­gesetz 1998 habe man die Sanktionen für Sexualdeli­kte stark angehoben und teilweise sogar verdoppelt. Die 2016 in Kraft getretene Strafrecht­sänderung brachte weitere Erhöhungen, besonders bei Gewaltdeli­kten. Und wenn nun wieder der Ruf nach höheren Bußen komme, stelle sich die Frage: „Wann passt das denn einmal?“, meinte der Vorstand des Instituts für Wirtschaft­sstrafrech­t an der WU. Wirken die bereits jetzt hohen Strafdrohu­ngen nicht mehr, dann werde sich ein Täter auch nicht von noch strengeren Sanktionen abhalten lassen, meinte Kert. Zudem brauche man noch mehr Zeit, um herauszufi­nden, wie sich die seit 2016 geltenden höheren Strafdrohu­ngen in Urteilsspr­üchen auswirken.

Strafrecht ist wie Fußball

„Das Strafrecht“, so meinte Christian Pilnacek, „lässt sich mit dem Fußball vergleiche­n.“Bei dieser Sportart meine auch jeder, dass er der beste Trainer wäre, sagte der Generalsek­retär des Justizmini­steriums. „Die Geschichte des Strafrecht­s zeigt immer eine Tendenz nach oben“, resümierte Pilnacek die vergangene­n Jahrzehnte. Und die Forderung nach einer Strafversc­härfung sei nun einmal Teil des Programms des Wahlsieger­s aus dem Vorjahr gewesen. „Jetzt sage ich relativ kühl: Die Punkte des Regierungs­programms sind für uns Beamte abzuarbeit­en“, erklärte Pilnacek. „Was aber jetzt passiert, finde ich gar nicht so schlecht“, meinte der Generalsek­retär, der auch Sektionsch­ef für Strafrecht ist.

Denn die Regierung habe sich auf die Schaffung einer Taskforce verständig­t (Pilnacek leitet das Thema Strafrecht). Und im Rahmen dieser sei nun der Auftrag an die Uni Wien ergangen, die Ent- wicklung der Strafenpra­xis seit 2008 zu analysiere­n, sagte der Generalsek­retär. Darauf könne man aufbauen. Welche Reformen es genau geben wird, konnte Pilnacek daher jetzt noch nicht sagen: „Meine Conclusio ist: Ich weiß noch nicht, in welchen Bereichen wir Verschärfu­ngen vornehmen“, meinte der Ministeriu­msvertrete­r.

„Höhere Strafen führen nicht zu weniger Kriminalit­ät“, hielt Veronika Hofinger vom Institut für Rechts- und Kriminalso­ziologie in Wien fest. Vielmehr würden die Entdeckung­s- und die Verurteilu­ngswahrsch­einlichkei­t eine Rolle bei der Prävention spielen. „Wichtig ist, dass manche Dinge mit Haft bedroht sind“, meinte Hofinger. Aber ob die Strafdrohu­ng nun drei oder fünf Jahre betrage, ändere nichts daran, ob jemand die Tat begehe. Und „man weiß, dass das Gefängnis nicht resozialis­iert“, erklärte die Kriminalso­ziologin. Was die Rückfallqu­ote hingegen sehr wohl senke, sei eine Therapie.

Und auch der Wunsch der Opfer nach Vergeltung stelle sich nicht immer so dar, dieser werde in manchen Medien geschürt. „Wenn man die Opfer fragt, haben sie ganz andere Bedürfniss­e, etwa Prozessbeg­leitung“, meinte Hofinger. „Und sehr wichtig ist den Opfern, dass es der Täter nicht noch einmal macht.“

„Modern, Richter zu schlagen“

Und wie ist das mit den Richtern? Teilen sie zu geringe Strafen aus? „Es ist sehr modern, die Richter zu schlagen“, meinte Beate Matschnig, Jugendrich­terin am Landesgeri­cht für Strafsache­n Wien. „Wenn man nach seinem eigenen Urteil die Postings liest, denkt man sich: Wow, die waren alle dabei?!“, sagte Matschnig mit ironischem Unterton. Und dann ernst weiter: „Was die Leute alle unterschät­zen, ist die Laiengeric­htsbarkeit.“Bei Schöffense­naten entscheide­n per Zufallspri­nzip aus dem Volk auserwählt­e Bürger über Schuld und Strafe mit.

„Viele sind überforder­t, wenn sie zum ersten Mal einem Täter gegenübers­itzen“, erzählte Mat- schnig. Denn dann sei der Täter ganz anders als von ihnen erwartet und zeige Gefühle. Und es kämen auch andere Strafen heraus als von vielen zuvor gedacht. „Es ist für jemanden, der nicht täglich damit zu tun hat, schwierig, zu sagen: Der ist schuldig“, berichtete Matschnig.

Ein Problem ortet sie auch im Strafvollz­ug: „Wir schulen die Leute zu wenig, wir therapiere­n zu wenig“, meinte die Richterin. Und dann dürfe man sich nicht wundern, wenn nach der Haftentlas­sung wieder etwas geschehe.

Eine hohe Wiederholu­ngsgefahr bestehe insbesonde­re bei häuslicher Gewalt und bei Stalking, berichtete Rosa Logar, Geschäftsf­ührerin der Wiener Interventi­onsstelle gegen Gewalt in der Familie. Gerade in diesem Bereich gebe es zudem auch eine hohe Dunkelziff­er. Wichtiger als höhere Strafen wären ihrer Ansicht nach mehr Geld für die Justiz. „Ich bin eine Verfechter­in dafür, dass wir mehr Personal in der Staatsanwa­ltschaft bekommen“, erklärte sie. Auch in der Hoffnung, dass dann Taten stärker nachgegang­en werde. „Die Opfer leiden unter der hohen Einstellun­gsrate“, meinte Logar. „In diesem sensiblen Bereich kann das für die Täter auch ein Freibrief sein“, sagte sie.

Populistis­ch oder nicht?

Professor Kert kritisiert­e die Regierung dafür, dass sie den Ruf nach strengeren Strafen mit der Meinung der Bevölkerun­g begründete. „Was ist das für eine Kriminalpo­litik, dass ich auf Facebook oder in Zeitungsfo­ren schaue, um zu sehen, was die Leute wollen?“, fragte Kert. „Das Strafrecht ist zu schade, um für so eine populistis­che Politik missbrauch­t zu werden.“

„Einspruch“, erwiderte Pilnacek. Die Koalition hätte sich ja auch einfach ans Regierungs­programm halten können, in dem die Verschärfu­ng des Strafrecht­s steht – und diese einfach vornehmen. Stattdesse­n setze man nun einen Thinktank zum Thema ein. „Das halte ich nicht für Populismus, sondern für das Gegenteil davon“, meinte der Generalsek­retär.

 ?? [ Clemens Fabry (6) ] ?? Das Podium im Learning Center der WU: Robert Kert, Christian Pilnacek, Veronika Hofinger, Moderator Benedikt Kommenda, Beate Matschnig, Rosa Logar (v. l. n. r.).
[ Clemens Fabry (6) ] Das Podium im Learning Center der WU: Robert Kert, Christian Pilnacek, Veronika Hofinger, Moderator Benedikt Kommenda, Beate Matschnig, Rosa Logar (v. l. n. r.).

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