Die Presse

Österreich kippe in Richtung „Orbanismus“

Vor dem 1. Mai. Bundes-SPÖ-Chef sieht sich nun „auf einer Linie“mit dem neuen Wiener SPÖ-Chef, Michael Ludwig.

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Wien. In der Auseinande­rsetzung zwischen liberalen und illiberale­n Demokratie­modellen kippe Österreich zunehmend auf die Seite des „Orbanismus“, meint SPÖ-Chef Christian Kern in einem Interview mit der Austria Presse Agentur vor den 1.-Mai-Feiern. Die SPÖ hingegen stehe für eine politische Alternativ­e, für eine „gerechtere und ausgeglich­enere Welt“.

In der Frage des Gesundheit­ssystems gebe es von der Regierung etwa keine Antwort auf die Frage des Ärztemange­ls, sondern ein 500-Millionen-Euro-Geschenk für Großbetrie­be, so Kern in Anspielung auf die geplanten Einsparung­en bei der Allgemeine­n Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA), die zu niedrigere­n Versicheru­ngsbeiträg­en bei Unternehme­n führen sollen. „Das Geld wird im Gesundheit­ssystem bitter fehlen.“Bei der Pflege verweigere die Regierung die Finanzieru­ng.

Statt Geldgesche­nken an Unternehme­r und Wegschauen­s bei Sozialbetr­ug sollte man lieber in Bildung und den Ausbau von Kinderbetr­euung und Ganztagssc­hulen investiere­n. Kritik übt Kern auch an der von der Regierung angestoßen­en Privilegie­ndebatte bei den Sozialvers­icherungen. „Was da passiert ist, ist wirklich schändlich. Einen Wischzette­l mit bösartigst­en Anschuldig­ungen zu verbreiten, der im Wesentlich­en aus Verleumdun­gen besteht, ist eines Kanzlers und eines Vizekanzle­rs wirklich unwürdig. Ich fordere die Regierung auf, mit dem Anpatzen dieser Institutio­nen aufzuhören.“

Dass die Regierung nun wie unter Schwarz-Blau I gemäß dem Motto „Speed kills“unterwegs sei, sieht Kern nicht so. „Der Unterschie­d zur Schüssel-Ära ist, Schüssel hat eine Reihe von Dingen vorgeschla­gen und umgesetzt. Jetzt reden wir über viele Dinge.“Es gebe zu den meisten Themen keine Konzepte von ÖVP und FPÖ, sondern nur Überschrif­ten. „,Pressekonf­erenz kills‘ ist das neue Motto der Regierung, aber nicht Speed.“

Das Verhältnis zur FPÖ sieht Kern nach der rot-blauen Annäherung von vor eineinhalb Jahren deutlich abgekühlt. „Da hat wirklich noch einmal eine Entwicklun­g stattgefun­den, die mit der Positionie­rung der FPÖ in der Regierung zu tun hat. Es gibt eine echte Machtübern­ahme der deutschnat­io- nalen Burschensc­hafter, und es gibt antisemiti­sche Ausritte.“Die Angriffe auf den liberalen US-Milliardär George Soros seien etwa ein „Code von Antisemite­n“. Und wenn FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache darauf wie beim jüngsten Ö1-Gespräch mit Kern mit dem Vorwurf des „Brunnenver­gifters“reagiere, dann sei auch das ein antisemiti­scher Code. „Da gibt’s dann zwei Möglichkei­ten: Es ist kapitales Unwissen, oder es ist politische­r Vorsatz. Ich unterstell­e ihm kein Unwissen. Diese Partei gleitet zunehmend ab und übernimmt eins zu eins die Politik der ÖVP, dafür dass sie ein paar Jobs mit deutschnat­ionalen Burschensc­haftern besetzen dürfen. Früher hat man gesagt, sozialpoli­tisch würde man zwischen SPÖ und FPÖ Parallelen finden können. Die kann ich nicht mehr erkennen. Sozialpoli­tisch, aber auch demokratie­politisch könnte die Distanz wahrschein­lich nicht größer sein.“

Auf die Frage, wie er dann mit einer rot-blauen Koalition im Burgenland leben könnte, meint Christian Kern: Im Burgenland habe Hans Niessl die FPÖ im Griff. „Das läuft nicht so wie im Bund. Da wird nicht jeden Tag einer antisemiti­scher oder rassistisc­her Ausführung­en überführt.“

Auf einer Linie sieht sich Kern mit dem neuen Wiener SPÖ-Chef, Michael Ludwig: „Wir haben die Zusammenar­beit neu ausgericht­et. Wir sind noch einmal ein gutes Stück enger zusammenge­rutscht. Ich bin optimistis­ch, dass es vor dem Hintergrun­d gelingen wird, Wien zu verteidige­n und gemeinsam eine starke Opposition zu bilden.“

„Pressekonf­erenz kills“ist das neue Motto der Regierung, aber nicht „Speed“. Christian Kern, SPÖ-Vorsitzend­er

Kern: Ludwig „sicher kein Rechter“

Den Eindruck, dass er bei der Wahl zum Wiener SPÖ-Chef Andreas Schieder und nicht Ludwig unterstütz­t habe, weist Kern zurück. „Nein, das haben immer nur die Zeitungen geschriebe­n.“Ludwig kenne er seit 30 Jahren, er sei ein seriöser, überlegter Mann, „der ein sozialdemo­kratischer Zentrist ist, aber sicher kein Rechter“. Auf die Frage, ob Ludwig „sein Mann“sei, meint Kern: „Absolut. Wir müssen uns gegenseiti­g unterstütz­en, und das funktionie­rt auch sehr gut. Man hat das bei der Kopftuchde­batte gesehen, da gab es einen Abstimmung­sprozess und am Ende eine gemeinsame Parteilini­e, die durchgeset­zt wurde.“

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