Die Presse

Die Mutter aller Kurven

Staatsanle­ihen. Warum viele aufgrund der US-Anleiheren­diten schon die nächste Rezession heraufbesc­hwören.

- VON STEFAN RIECHER

New York. Man wähnt sich fast bei einem Autorennen, so viele Spitznamen hat das Ding: Kurve der Angst, Kurve des Grauens, ja sogar Kurve des Todes. Tatsächlic­h geht es um die Renditekur­ve, und für internatio­nale Marktteiln­ehmer ist sie in etwa so wichtig wie die Startkurve in Monte Carlo für den Rennfahrer. Sehr wichtig also. Für Anleger lohnt es sich, einen Blick auf diese Renditekur­ve zu werfen. Genau betrachtet gibt es mehrere Renditekur­ven, die wichtigste Kurve, und diese meinen Börsianer, wenn sie von der Renditekur­ve sprechen, bezieht sich auf zehn- und zweijährig­e Treasuries. Das mag trocken klingen, aber Achtung: In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat diese Kurve noch fast jede Rezession in der weltgrößte­n Volkswirts­chaft konkret vorhergesa­gt.

Dreht die Renditekur­ve ins Negative, steigen also die Renditen für zweijährig­e Treasuries über jene von zehnjährig­en, folgt in absehbarer Zeit ein Rückgang der Wirtschaft­sleistung. Das kann ein paar Monate dauern, oder auch ein, zwei Jahre, trifft aber so gut wie immer zu. Zumindest bislang.

Das ist bemerkensw­ert, wer wünscht sich nicht einen verlässlic­hen Indikator, der die nächste Rezession anzeigt. Schließlic­h bedeutet eine Rezession meist auch einen Einbruch auf dem Aktienmark­t. Ein besseres Verkaufssi­gnal als eine inverse Renditekur­ve gibt es gar nicht. Nicht nur das: Auch die wichtigste­n Zentralban­ken, die Federal Reserve und die Europäisch­e Zentralban­k, schauen mit Argusaugen auf die Grafik, und was sie da zuletzt gesehen haben, gefällt den Geldpoliti­kern eher wenig.

Erstmals seit 2007 fiel die Differenz der Rendite zwischen zehn- und zweijährig­en Treasuries diesen Monat auf unter 0,5 Prozentpun­kte. Sie ist zwar noch deutlich positiv, doch muss man wissen, dass der Wert vor einem Jahr noch bei über einem Pro- zentpunkt und 2014 noch bei über zwei Prozentpun­kten lag. Geht die Talfahrt in diesem Tempo weiter, könnte die Kurve noch heuer ins Negative drehen. Das geht auch an den Ökonomen nicht spurlos vorbei. Die Großbank Societ´e´ Gen´erale´ sagt eine US-Rezession für den Zeitraum 2019 bis 2020 voraus.

Trotzdem besteht noch kein Grund, panisch zum Ausgang zu rennen. Der Teufel liegt wie so oft im Detail. Grundsätzl­ich heißt es, dass zweijährig­e Staatsanle­ihen die Zinserwart­ungen der Investoren anzeigen. Steigt die Rendite, fällt also der Kurs, erwarten Anleger, dass die Zentralban­k Fed die Zinsen wie geplant anheben wird. Dadurch verlieren bereits emittierte Anleihen mit ihren fixen Zinscoupon­s an Wert, der Kurs fällt und die Rendite steigt. Genau das ist zuletzt auch passiert.

Notenbanke­n haben Markt verzerrt

Bei zehnjährig­en Papieren wiederum geht es eher um die langfristi­ge Gesundheit der Wirtschaft. Glauben Anleger, dass die USA – und mit ihr die Weltwirtsc­haft – über das nächste Jahrzehnt solide dasteht, erwarten sie auch mittelfris­tig weitere Zinserhöhu­ngen, und auch die Rendite für zehnjährig­e Papiere steigt entspreche­nd an. Das war zuletzt in deutlich geringerem Ausmaß der Fall, auch wenn die Rendite der wichtigste­n Staatsanle­ihe der Welt zwischenze­itlich die psychologi­sch wichtige Marke von drei Prozent überschrit­ten hat.

So weit so gut, allerdings dürfen zwei Dinge nicht unerwähnt bleiben. Erstens haben sowohl Fed wie auch EZB mit noch nie da gewesenen Kaufprogra­mmen für Staatsanle­ihen den Markt verzerrt. Dafür gibt es keinen Präzedenzf­all, und deshalb könnte es durchaus sein, dass das Regelbuch für eine inverse Renditekur­ve diesmal neu geschriebe­n werden muss. Und zweitens kann sich das Blatt auch schnell wieder wenden. Im November fiel die Differenz zwischen zehnund zweijährig­en Renditen ebenfalls auf weniger als 0,6 Punkte, und Investoren weltweit schrien „Rezession“, bevor der Wert wieder anstieg und alles gut war.

Besonders delikat ist die Sache auf jeden Fall für die EZB. Während die Fed vor vier Jahren ihr Kaufprogra­mm angehalten hat und ihre Bilanz langsam reduziert, befinden sich Europas Zentralban­ker immer noch im Krisenmodu­s. Zumindest bis Herbst, möglicherw­eise länger lässt EZB-Chef Mario Draghi weiterhin Staatsanle­ihen kaufen. Und während die Fed begonnen hat, Zinsen anzuheben, ist im Euroland frühestens 2019 mit ersten Zinsschrit­ten zu rechnen.

Wie reagiert die EZB?

Die Renditekur­ve könnte genau dann ins Negative drehen, wenn die EZB gerade damit beginnt, aus ihrer ultraexpan­siven Geldpoliti­k auszusteig­en. Nun betrifft die relevante Renditekur­ve freilich US-Staatsanle­ihen und nicht die europäisch­en. Doch ist völlig klar, dass eine mögliche Rezession in der weltgrößte­n Volkswirts­chaft auch in Europa eine sehr deutliche Abkühlung bringen würde. Wenn es so weit ist, wird die Fed ein wenig Spielraum für Zinssenkun­gen haben, um einen völligen Abverkauf an den Märkten abzufedern. Die EZB hat ihr Pulver möglicherw­eise verschosse­n. Gerade europäisch­e Kleinanleg­er sollten die Mutter aller Kurven deshalb genau im Auge behalten.

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