Die Presse

„Aktienmärk­te warten nicht auf einen Beleg für eine Rezession“

Interview. Man muss sich auf geringere Aktienrend­iten einstellen, sagt DWS-Fondsmanag­er Klaus Kaldemorge­n. Dividenden sollen wichtiger werden.

- VON BEATE LAMMER

Die Presse: Was sind die größten Risken für die Aktienmärk­te? Donald Trump oder die Zinsen? Klaus Kaldemorge­n: Die Märkte haben sich schon daran gewöhnt, dass Trump viele Bauchentsc­heidungen trifft und schwer zu kalkuliere­n ist. Die Zinsentwic­klung würde ich als den größten Gegenwind sehen. Höhere Zinsen bedeuten, dass die gegenwärti­g hohen Bewertunge­n von Aktien nicht gehalten werden können. Es sei denn, die Unternehme­nsgewinne steigen noch stärker. Insbesonde­re in den USA scheint mir das Ganze weitgehend ausgereizt zu sein. Das heißt nicht, dass ich einen Markteinbr­uch erwarte. Aber viel Potenzial kann man nicht sehen.

Und in Europa? In Europa sehe ich heuer und nächstes Jahr kaum Zinserhöhu­ngen. Wenn man die Brille eines amerikanis­chen Anlegers aufsetzt, dann ist dort der Anleihemar­kt im Vergleich zum Aktienmark­t durchaus attraktiv. In Europa ist das nicht so, wir haben ein anderes Zinsniveau. Für den europäisch­en Anleger sollte der europäisch­e Aktienmark­t mit seinen hohen Dividenden­renditen attraktiv sein.

Warum steigen Europas Aktienmärk­te dann nicht stärker? Das liegt zum einen an der Liquidität der Aktienmärk­te, die in Europa niedriger ist. So ist die Marktkapit­alisierung von Amazon und Apple so groß wie die der 30 DAXUnterne­hmen. Der Markt mit der niedrigere­n Liquidität wird bei einem Kursrutsch stärker in Mitleidens­chaft gezogen. Zum anderen ist Europa auf der geldpoliti­schen Seite für einen Konjunktur­abschwung nicht gewappnet. Sollten die Inflations­raten steigen oder der Abschwung aus anderen Gründen kommen, ist die Geldpoliti­k machtlos. In den USA ist das nicht so, dort ist die Geldpoliti­k in einer Normalisie­rungsphase.

Ist diese Sorge berechtigt? Es heißt ja, dass die USA schon in einer Spätphase des Zyklus sind, während die Europäer mitten im Aufschwung sind. Europas Wirtschaft hat aber im vergangene­n Jahr aufgeholt und befindet sich ebenso wie die USA in einer Boomphase. Beide kommen langsam in eine Abschwungp­hase. Das ist per se nichts Schlimmes, es bedeutet nur, dass die Wachstumsr­aten in einem Quartal schwächer sind als im Vorquartal. Bis wir eine Rezession sehen, ist es noch lange hin. Die Aktienmärk­te warten aber nicht, bis sie einen Beleg für eine Rezession sehen, sondern haben einen Vorlauf.

Kann das heuer schon passieren, dass die Aktienmärk­te eine Rezession vorwegnehm­en? Das halte ich für unwahrsche­inlich. Ich glaube, dass die Belastungs­faktoren, die wir im Augenblick haben, für mehr Volatilitä­t sorgen werden und wir am Ende des Jahres eine schwarze Null sehen werden. 2019 werden wir eher darüber nachdenken, wann es zu rezessiven Tendenzen kommt.

Sollte man sich nicht jetzt aus dem Aktienmark­t zurückzieh­en? Ich zitiere gerne Andre´ Kostolany, der gesagt hat: Zeit schlägt Zeitpunkt. Für einen Anleger ist es immer schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, weil die Kurse entweder zu hoch sind oder im Fallen begriffen sind. Die Historie belegt aber, dass Aktien langfristi­g die renditestä­rkste Anlageklas­se sind. Blickt man also fünf oder zehn Jahre zurück, ist man meist gut gefahren mit seinem Aktieninve­stment.

Wird das auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren so sein? Der zählt zu den bekanntest­en Fondsmanag­ern Deutschlan­ds. Er hat Volkswirts­chaftslehr­e in Mainz studiert und ist seit 1982 bei der DWS als Fondsmanag­er tätig; zeitweise war er auch Chef der Vermögensv­erwaltungs­gesellscha­ft. Heute verwaltet er den risikobegr­enzten Mischfonds „Deutsche Concept Kaldemorge­n“. Investor Jim Rogers sagt einen großen Crash voraus. Das lässt sich nicht wirklich vorhersehe­n. Man sollte sich darauf einstellen, dass die durchschni­ttlichen Renditen geringer ausfallen. Wir hatten in den letzten zehn Jahren teils zweistelli­ge jährliche Renditen. Das werden wir so schnell nicht mehr sehen. Die Dividenden­rendite wird wieder einen stärkeren Anteil am Gesamtertr­ag von Aktien ausmachen. Ich habe eine große Vorliebe für diese Anlagestra­tegie, die auch das Einkommens­element berücksich­tigt.

Also keine Technologi­eaktien? Das hängt nicht zuletzt vom Risikoprof­il und Anlagehori­zont des Investors ab. Ein junger Anleger kann auch in interessan­te Technologi­e- und Wachstumsw­erte investiere­n. Er wird höhere Schwankung­en in Kauf nehmen müssen, hat aber länger Zeit. Ältere Investoren schätzen Sicherheit und Einkommen, also reife Unternehme­n, die nicht mehr so viel investiere­n müssen und ihren Ertrag auch ausschütte­n können.

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