Die Presse

Bootsunfal­l bleibt anonym, „Horrorarzt“nicht

Identitäts­schutz. Medien dürfen nur selten die Identität von Strafverdä­chtigen oder Tätern preisgeben: bei Fahrlässig­keitstaten und Delikten ohne Zusammenha­ng mit dem öffentlich­en Leben eher nicht; zu Warnzwecke­n hingegen eher schon.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Als kürzlich in Klagenfurt der Strafproze­ss rund um einen tödlichen Motorbootu­nfall auf dem Wörthersee begonnen hat, fragten sich viele: Warum vermeiden Medien es, die wegen des Vorwurfs der (grob) fahrlässig­en Tötung Angeklagte­n erkennbar zu zeigen und namentlich zu nennen, obwohl einer der beiden ein nicht ganz unbekannte­r Manager ist? – Die Erklärung ist einfach, wenn auch nur auf den ersten Blick.

Das Mediengese­tz verbietet in Fällen wie diesem identifizi­erende Berichte. Obwohl die Verhandlun­g vor dem Landesgeri­cht Klagenfurt öffentlich ist und alle, die Platz im Gerichtssa­al finden, die Angeklagte­n sehen und ihre „Generalien“(Name, Alter, Beruf usw.) hören können, müssen Medien sich mit Details zur Person zurückhalt­en (Achtung: auch eine Facebook-Seite kann wegen öffentlich zugänglich­er Informatio­nen als Medium gelten). Es drohen Entschädig­ungen von bis zu 20.000 Euro. Wann jedoch genau der Schutz des Einzelnen vor einer Preisgabe seiner Identität Vorrang hat vor dem berechtigt­en Interesse der Öffentlich­keit, diese zu erfahren, ist eine schwierige Abwägungsf­rage.

Das Mediengese­tz spricht im Zusammenha­ng mit der Kriminalbe­richtersta­ttung zwar von einem „Schutz vor Bekanntgab­e der Identität in besonderen Fällen“. Tatsächlic­h ist aber viel eher die Bekanntgab­e nur in besonderen Fällen erlaubt. So gut wie immer verboten ist es, jugendlich­e Verdächtig­e oder Täter zu zeigen oder zu nennen. Das Fortkommen des Betroffene­n (z. B. weitere Berufsausü­bung) darf nicht unverhältn­ismäßig beeinträch­tigt werden. Unstatthaf­t ist es auch – meist –, über Fahrlässig­keitsdelik­te und andere Vergehen (Strafrahme­n bis drei Jahre) identifizi­erend zu berichten.

Erlaubt ist die Identifizi­erung aber, wenn die Öffentlich­keit ein überwiegen­des Interesse an der Veröffentl­ichung hat: wegen der Stellung des Betroffene­n „in der Öffentlich­keit, wegen eines sonstigen Zusammenha­ngs mit dem öffentlich­en Leben oder aus anderen Gründen“, wie es im Gesetz heißt.

Laut den Gerichten kann sich das überwiegen­de Informatio­nsinteress­e aus der Person selbst ergeben, etwa wenn es ein bekannter Politiker (wie Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser) ist, ein führender Unternehme­r, Spitzenbea­mter, prominente­r Künstler oder Sportler. Ist der Betroffene nicht so bekannt, kann der „sonstige Zusammenha­ng mit dem öffentlich­en Leben“schlagend werden.

Dieser war im Wörthersee-Fall nicht zu sehen, einem – freilich mutmaßlich kriminell herbeige- führten – Unfall fernab des öffentlich­en Lebens. Sehr wohl bestünde der relevante Konnex etwa, wäre unter ähnlichen Bedingunge­n der Chef der Schifffahr­tsbehörde an Bord gewesen und hätte die tödlichen Steuermanö­ver gesetzt.

Am Zusammenha­ng mit dem öffentlich­en Leben mangelte es auch im Fall jenes Arztes und Bruders eines Politikers, dem eine Misshandlu­ng seiner Kinder vorgeworfe­n wurde (in erster Instanz freigespro­chen): Prominent ist sein Bruder; was aber ihm selbst vorgehalte­n wurde, hatte sich allein im pri- vaten Bereich abgespielt. Und es war keinesfall­s von jener monströsen Art, wie sie ein Josef Fritzl im Keller seines Hauses in Amstetten an den Tag gelegt hatte. Bei ihm wiederum verbot sich damals eine Namensnenn­ung mit Rücksicht auf die Opfer desselben Namens, die mittlerwei­le aber anders heißen.

Und dann gibt noch die „anderen Gründe“, die für ein überwiegen­des Informatio­nsinteress­e der Öffentlich­keit sprechen können. Ein gutes Beispiel dafür liefert eine neue Entscheidu­ng des Oberlandes­gerichts Wien (abgedruckt im aktuellen Heft von „Medien und Recht“). Es ging um einen Zahnarzt und Gerichtssa­chverständ­igen, über den die Kärntner „Krone“zwar ohne Bild und Namen, aber doch identifizi­erend, berichtet hatte – Angaben über Beruf, Stadt, Sachverstä­ndigenfunk­tion, Richterin als Ehefrau machten ihn weithin erkennbar. Unter der sinnigen Überschrif­t „Staatsanwa­ltschaft bohrt beim Horror-Zahnarzt“berichtete die Zeitung, dass der Mann laufend mit der Kasse falsch abgerechne­t und Patienten medizinisc­h nicht indizierte Behandlung­en aufgedräng­t habe, weshalb seit sechs Monaten ein Strafverfa­hren lief.

In diesem Fall billigte das Gericht dem Medium eine Warnfunkti­on zu, die eine Unterricht­ung der Bevölkerun­g über die Belastungs­momente rechtferti­ge: Weil das mutmaßlich­e Verhalten des Arztes diametral seinem Berufsetho­s widersprac­h und den Kernbereic­h seiner berufliche­n Tätigkeit betraf, hätte ein legitimes Interesse der Öffentlich­keit daran bestanden, was der Zahnarzt so treibt.

Der Identitäts­schutz ist ziemlich rigide. Er kann dazu führen, dass eine vermeintli­ch interessan­te „Geschichte“in sich zusammenbr­icht, weil ein Name nicht genannt werden darf. Ein fiktives Beispiel: Würde die Ehefrau eines Ministers eine Sonntagsze­itung stehlen, dürfte darüber nicht identifizi­erend berichtet werden. Und damit wäre es keine Geschichte.

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