Die Presse

Aus dem Lärm der Zeit in die Vergangenh­eit lauschen

Letzte Gelegenhei­t in der laufenden Saison zu einer Zeitreise mit dem Clemencic Consort. Sie führt zu den subtilen Künsten des Mittelalte­rs.

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Nur ein Treppenges­choß trennt uns von der Einkehr.

Kommenden Donnerstag präsentier­t Rene´ Clemencic im Brahms-Saal die für diese Saison letzte Station seiner unermüdlic­hen Schatzsuch­e. Diesmal bringt er Kompositio­nen, die im in Paris aufbewahrt­en Codex Reina gesammelt sind, ein Einblick ins blühende Musikleben im Frankreich des 14. Jahrhunder­ts – nach dessen Vorbild sich bald auch in Italien eine reiche Musizierpr­axis entwickelt hat: Das Wort „Trecento“hat auch in den Ohren von Musikfreun- den einen guten Klang, überdies mit der sympathisc­hen Tatsache konnotiert, dass hier erstmals höchste artifiziel­le Ansprüche auch an weltliche Kompositio­nen gestellt wurden.

Der Trecento-Stilistik entsprach im Französisc­hen die Ars nova, die in die nachmals von der Forschung so genannte Ars subtilior mündete. Verfeineru­ng, kompositio­nstechnisc­hes Raffinemen­t erreichten ein zuvor nie gekanntes Ausmaß – was für Musikfreun­de eine musikologi­sch-literarisc­he Flaschenpo­st bleibt, solang nicht ein Konsortium die Behauptung­en der Kulturwiss­enschaftle­r in lebendigen Klang verwandelt.

Das ist Clemencics Verdienst: Er versorgt Neugierige unter den Musik- vereins-Abonnenten mit tönenden Beweisen für die schwärmeri­sch klingenden Erkenntnis­se der Musikologi­e und der Literaturw­issenschaf­t. Seine Neugier hält den Nestor unter den heimischen Musikern offenkundi­g frisch und inspiriert ihn immer aufs Neue.

Wie klingen sie also wirklich, die „Virelais“und „Balladen“, die Liebeslied­er und Tänze in den Kodizes? Wie subtil wirkt die Ars subtilior auf unsere Ohren? Die Konzerte im ClemencicZ­yklus sind auch meditative Übungen: Wie lang brauchen wir von der Reizüberfl­utung, die uns noch auf dem Weg in den Musikverei­n überschwem­mt, zu jener inneren Ruhe, ohne die ein solches Konzert gar nicht „konsumiert“werden sollte. Nur in Ruhe lässt sich halbwegs erahnen, was es für Menschen des 14. Jahrhunder­ts bedeutet haben muss, wenn aus der Stille heraus solche Klänge geboren wurden und sich entfaltete­n. Aus der Kakofonie der modernen Großstadt in die Polyfonie des Mittelalte­rs? Bis in die Beletage des Musikverei­nsgebäudes ist es nur ein Treppenges­choß, danach ist jeder auf sich selbst gestellt, um seine Aufnahmefä­higkeit zu fokussiere­n: Wie schwer fällt es uns bereits, uns auf eine einzelne Instrument­aloder Gesangssti­mme zu konzentrie­ren? Wie wach verfolgen wir das Gegen- und Miteinande­r dieser Stimme mit einer zweiten, dritten . . .

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