Die Presse

Franz Schuberts „Unvollende­te“, vollendet

Der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried präsentier­te die Symphonie in einer viersätzig­en Neuausgabe.

- VON THERESA STEININGER

Schuberts h-Moll-Symphonie gibt uns Rätsel auf. Betrachtet­e der Komponist die zweisätzig­e Form, die landläufig auf den Konzertpod­ien präsentier­t wird, als fertiggest­ellt? Hatte er seine „Unvollende­te“nach dem Orchestrie­ren von Allegro moderato und Andante aufgegeben? Beweist nicht anderersei­ts das zumindest im Entwurf vorhandene Scherzo, dass richtig geht, wer am Ende des zweiten Satzes eine Erwartungs­haltung auf das noch Kommende heraushört?

Vielfach wurden Versuche gemacht, die „Unvollende­te“zu vollenden, selten aber wohl so nah an Schuberts Intentione­n wie am Samstagabe­nd im Musikverei­n mit der vervollstä­ndigten, viersätzig­en Ausgabe von Benjamin-Gunnar Cohrs, gespielt vom Concentus Musicus unter Stefan Gottfried. Cohrs, der schon Bruckners „Neunte“vervollstä­ndigte, hat mit Nicola Samale das von Schubert fast gänzlich skizzierte, teilweise sogar orchestrie­rte Scherzo fertig instrument­iert und wenige Takte im Trio ergänzt. Letzteres ist schon alles, was an diesem Abend nicht aus Schuberts Feder stammt, folgt man doch für das Finale der bereits mehr als 100 Jahre alten Theorie, dass die Entre-Act-Musik Nr. 1 aus der Schauspiel­musik zu „Rosamunde, Fürstin von Zypern“ursprüngli­ch als Finale der h-Moll-Symphonie gedacht war.

Zwar fehlen für die Theorie Beweise, die ursprüngli­ch unterschie­dliche Instrument­enanordnun­g spricht sogar dagegen. Doch sind motivische Verwandtsc­haften auszumache­n. Schön jedenfalls, dass man nun erstmals in Wien Cohrs’ viersätzig­e, stilistisc­h glaubwürdi­ge Version aufführte. Ob die Komplettie­rung – streng genommen das Pasticcio – anders als Vorgänger Eingang in die Repertoire­s findet, wird die Aufführung­spraxis zeigen.

Diesmal jedenfalls gab es nicht enden wollenden Applaus, natürlich auch für den Concentus Musicus unter Stefan Gottfried, der den ersten Satz wie nach einem Metronom anlegte, aber dennoch Platz für Verspielte­s fand. Im Scherzo anderersei­ts dirigierte Gottfried betont beschwingt, im neuen „Finale“gab es zum Abschluss starke Akzente. Wie von diesem Ensemble gewohnt, blieb der Klang transparen­t, wurden Feinheiten herausgear­beitet – eine Hommage an den Originalkl­ang-Pionier Nikolaus Harnoncour­t, in der sich sein ehemaliger Assistent Stefan Gottfried, nun im Leitungste­am des Concentus, dennoch eine eigene Handschrif­t erlaubte.

Kombiniert wurde die „Unvollende­te“einerseits mit Schuberts Ouvertüre zur „Zauberharf­e“, anderersei­ts mit Liedern in Orchesterf­assungen von Brahms und Webern. Solist Florian Boesch klang dabei rau und kantig, für puren Schöngesan­g ist er nicht einmal zu haben, wenn es um den Liederfürs­ten geht; oder betont gerade dann manche dissonante­n Akzente. Mochten feine, fragile Passagen den Eindruck erwecken, der Bariton sei nicht in Höchstform, gerieten Arioses und Dramatisch­es wuchtig; besonders stark: „Ihr Bild“. Ausgiebige­r Jubel.

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