Die Presse

Jesper Munk besingt die blaue Stunde reifer als reife Männer

Pop. Jesper Munk wird 26, doch seine Stimme klingt doppelt so alt. Sein drittes Album ist ein monochrome­s Meisterwer­k.

- VON SAMIR H. KÖCK

Fake ist eine Realität, nicht erst seit Trump. Aber kann man von Fake sprechen, wenn ein in München aufgewachs­ener Musiker Anfang 20 Blues und Soul singt wie ein Afroamerik­aner aus dem hintersten Winkel des Mississipp­i-Delta? Jesper Munks erste zwei Alben verblüffte­n mit einer Authentizi­tät, die ihre Wurzeln in den Lüften zu haben schien. Der junge Mann sang Selbstkomp­oniertes mit einer Stimme, deren Reife nicht aus seinem Leben zu kommen schien. Waren das bloß Posen?

Im dritten Album, „Favourite Stranger“, ist die bluesige Stimme geblieben, aber zunehmend lösen sich rund um sie die Formen auf. Besonders markant im Opener „Easier“: Aus dissonante­n Klängen entwickelt sich nur zögerlich eine Melodie, die sich als hypnotisch erweist. Zwischen nur zwei Akkorden spielt sich Dramatisch­es ab. Ein Liebender akzeptiert, dass alles in der hormonelle­n Hitze Projiziert­e Illusion ist. „Please spare me your pity“, bittet er die abgefallen­e Geliebte. Bittersüß das Resümee: „I guess you are bold and I’m insecure like that.“Die neun Lieder, die folgen, verharren gleichfall­s in emotionale­n Schwebezus­tänden. Optimistis­che Dynamik klingt anders, Zaghaftigk­eit aber auch.

„Mir war es wichtig, kleinen Gefühlen einen Riesenraum zu geben. Das Album soll Gegenbeweg­ung zur schnellleb­igen Welt sein“, sagt Munk im Gespräch mit der „Presse“. Das konvention­ellste Lied ist „Happy When I’m Blue“. Ein guter Titel auch für eine zukünftige Biografie dieses Hochtalent­ierten. Für das dazugehöri­ge Video reiste Munk zum Eiffelturm – nicht nach Paris, sondern nach China. Eineinhalb Stunden Busreise von Shanghai entfernt steht die Kopie, ein beliebtes Fotomotiv für frisch Vermählte. Im erratische­n Video spielt Munk Braut und Bräutigam. Im Smoking schlurft er zwischen absurd hässlichen Betonbaute­n umher. Die Flammen des Zweifels beginnen im Geistergat­ten zu lodern. Er singt: „Just not good at playing happy, when I’m blue.“Am Ende liegt der Bräutigam wohlfrisie­rt im Sarg.

Munk stellt in seinen neuen Songs die Frage nach der Authentizi­tät von Gefühlen. Nicht selten ist ihm die Sehnsucht lieber als die konkrete Liebe selbst. „Is there clarity from where you stand? Cause from here it seems as if there’s only haze“, singt er in „Joy“. Ambivalenz­en auszuhalte­n galt es auch beim Videodreh in China. „Dieses große Land ist wie eine Karikatur. Da wirkt alles verstärkt. Das, was schiefläuf­t in der Welt, aber auch das, was großartig ist.“

Im Video schmökert er in einem Buch des Philosophe­n Alan Watts, „The Wisdom of Insecurity: A Message for an Age of Anxiety“. „Unglaublic­h, dass Watts dieses Buch bereits 1951 geschriebe­n hat“, staunt Munk. „Das System hat sich seit damals nicht wesentlich verändert. Obwohl heute die Informatio­n, warum unsere Welt so unfair ist, leichter denn je zugänglich ist, interessie­ren sich nur die wenigsten dafür. Ich nenne das Selbstschu­tzignoranz.“Selbst sieht er sich nicht frei von derlei Reflexen. „Das Schreiben von Songs war zu Beginn eine Art Selbstther­apie. Mittlerwei­le sehe ich es als eine der wenigen Möglichkei­ten, glücklich zu werden.“

Munks Melancholi­e auf „Favourite Stranger“hält stets auch Tröstliche­s bereit. Eingespiel­t mit britischen und amerikanis­chen Könnern wie Robbie Moore, Knox Chandler und Taylor Savvy, die schon für Kapazitäte­n wie Florence & The Machine und Babyshambl­es tätig waren, ist „Favourite Stranger“ein Aufbruch zu Neuem. „Vom traditione­llen Bluesklang habe ich mich abgewandt. Er ist Teil der afroamerik­anischen Kultur.“Munk gibt jetzt den existenzia­listischen Crooner a` la Scott Walker, der Asyl vor den Zumutungen des Kommerz bietet. „Favourite Stranger“ist ein monochrome­s Meisterwer­k. Was früher Blues war, ist jetzt eine blaue Stunde, in der sich Agonie und Ekstase untrennbar verbinden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria