Die Presse

Das geopolitis­che Ringen um das „Herzland“Eurasien

Die Thesen des britischen Geografen Halford Mackinder sind heute so aktuell wie bei ihrer Präsentati­on vor 114 Jahren.

- BLICK IN POLITISCHE ZEITSCHRIF­TEN E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

E s ist 114 Jahre her, dass der britische Geograf Halford Mackinder in der Royal Geographic Society in London einen bahnbreche­nden Vortrag hielt, der einen entscheide­nden Impuls für geopolitis­ches Denken und Forschen gab. Titel: „Der geografisc­he Drehpunkt der Geschichte“. Es war eine Königsidee der Redaktion der Zeitschrif­t diesen Vortrag in der Frühjahrsa­usgabe abzudrucke­n, in dem Mackinder Reflexione­n über den Einfluss der Geografie auf die Weltpoliti­k anstellt, wobei er das eurasische „Herzland“in den Mittelpunk­t seiner Überlegung­en stellt.

Wenn man diesen Vortrag heute liest, überrascht immer wieder, wie klar und weitsichti­g die Gedanken des Briten waren. Sie sind bis heute relevant geblieben. Zum Beispiel, wenn Mackinder erklärte: „Heute verwandeln transkonti­nentale Eisenbahne­n die Bedingunge­n der Landmacht von Grund auf, und nirgendwo sonst können sie eine solche Wirkung haben wie im geschlosse­nen Herzland Eurasiens ...“Wem kommt dabei nicht sogleich die „Neue Seidenstra­ße“von Chinas starkem Mann Xi Jinping in den Sinn, die kein rein wirtschaft­liches Projekt ist, sondern natürlich der machtpolit­ischen Ausweitung der chinesisch­en Einflusszo­ne dient? Mackinder hielt es auch schon damals für möglich, dass die Chinesen eines Tages Russland überrennen, die Russen als bestimmend­e Macht über das eurasische Herzland ersetzen und „zur gelben Gefahr für die Freiheit der Welt werden könnten“.

Aber da gibt es als Gegenmacht noch immer die USA. Und wie der Asienexper­te Alfred McCoy in einem weiteren Aufsatz, der sich mit der Bedeutung von Mackinders Thesen für die Gegenwart in „Lettre“auseinande­rsetzt, konstatier­t, ist der sich gerade „schärfer abzeichnen­de Konflikt zwischen Peking und Washington nur die letzte Runde in einem jahrhunder­telangen Kampf um die Kontrolle der eurasische­n Landmasse zwischen Meeres- und Landmächte­n“. Washington sei weiterhin entschloss­en, „an den axialen Positionen an beiden Enden der eurasische­n Landmasse festzuhalt­en“. D em amerikanis­ch-chinesisch­en Ringen um globale Herrschaft widmen sich auch führende US-Zeitschrif­ten. Im Monatsmaga­zin geht der in Peking lebende Publizist Benjamin Carlson der Frage nach, „warum China Trump liebt“, und zitiert dabei den Hongkonger Professor Xu Guoqi: „Trumps Präsidents­chaft ist ein Geschenk für das jetzige Regime in China. Wegen Trump kann Xi Jinpings Traum von der Wiederkehr der Dominanz Chinas tatsächlic­h in Erfüllung gehen.“

In untersucht ein Aufsatz, warum so viele amerikanis­che Chinaexper­ten die Entwicklun­gen der Volksrepub­lik seit 1978 falsch eingeschät­zt haben und warum es Zeit für ein Überdenken der Chinapolit­ik der USA wäre. Ein weiterer Beitrag befasst sich mit der Frage, wie das Leben in einem von China dominierte­n Asien aussehen könnte: „China verfolgt bereits die Strategien früherer regionaler Hegemonial­mächte (wie die USA, Japan oder Sowjetunio­n). Es nutzt wirtschaft­liche Zwangsmaßn­ahmen, um anderen Ländern seinen Willen aufzuzwing­en. Es baut seine Streitkräf­te aus, um Herausford­erer abzuschrec­ken. Es intervenie­rt in die Innenpolit­ik anderer Länder, um eine freundlich­ere Politik der Volksrepub­lik gegenüber zu erreichen.“Und, schreibt Professor Jennifer Lind: „Bisherige Hegemonial­mächte haben die Präsenz einer rivalisier­enden Großmacht in der eigenen Einflusszo­ne niemals toleriert.“Die Welt wird noch ungemütlic­her werden.

 ??  ?? VON BURKHARD BISCHOF
VON BURKHARD BISCHOF

Newspapers in German

Newspapers from Austria