Gefangen in grüner Blase
Aus der früher breiten grünen Bewegung ist eine doktrinäre Kaderpartei geworden, die mit Geboten und Verboten agiert.
Nach den Wahlkatastrophen, die die Grünen in den letzten Monaten erlebt haben, wird der eindeutige Erfolg von Georg Willi bei der Innsbrucker Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl nun als Trendwende gedeutet und Willi als historischer Versöhner zwischen linken und bürgerlichen Grünen in den frühen 1990er-Jahren gelobt. Letzteres stimmt auch ein Stück weit, aber eben nur für Tirol. Dort sind die Landesgruppen von VGÖ (Vereinte Grüne Österreichs) und Grüne Alternative im Jahr 1993 wirklich verschmolzen.
Aber in allen anderen Ländern war das eben nicht der Fall. Am guten Willen der bürgerlichen VGÖ ist das nicht gescheitert, wohl aber am demonstrativen Desinteresse der damals von Peter Pilz geführten Grünen Alternative. Ich habe das als damaliger Vorsitzender der VGÖ Wien unmittelbar miterlebt. Die Folge war die Abwanderung der meisten ehemaligen bürgerlichen Grünwähler in Richtung FPÖ, ÖVP und LIF.
Solange es mit den Grünen aufwärts ging, war das Fehlen des bürgerlichen Flügels kein Problem. Als dann aber 2017 mit dem Hin- ausdrängen der Parteijugend und einiger Abgeordneter rund um Pilz eine „Kernspaltung“der Grünen stattgefunden hat, haben die früher rund 100.000 bürgerlichen Grünwähler plötzlich gefehlt. Ja, ein Zehntel dieses Stimmenpotenzials (ca. 10.000) hätte gereicht, damit die Grünen doch noch mit einem „blauen Auge“und acht Nationalratsabgeordneten davongekommen wären, inklusive Klubstatus, Klubgeldern, Parteienförderung, Parteiakademie, Akademieförderung, ORF-Kurator usw.
Jetzt wird viel von Veränderung geredet bei den grünen Funktionären. Das zentrale Problem aber, dass man mit nur einem Flügel eben früher oder später abstürzen musste, das wird ignoriert.
Natürlich würde die Zurückgewinnung des bürgerlichen Wählerpublikums nicht leicht werden. Zu weit haben sich die Grünen von den ursprünglichen Zielen Umweltschutz, Demokratie und Bürgerrechte entfernt. Man hat sich in einem selbstkreierten neuen Wertekanon vom Binnen-I, der Frauen-Bevorzugung bis zur Masseneinwanderung einbetoniert. Und manche Funktionäre, die erst nach 2000 ergrünt sind, wissen über- haupt nicht mehr, worum es anfangs eigentlich gegangen ist.
Selbst die gut begründete Kampagne der Grünen (Pilz und Voggenhuber) gegen den EU-Beitritt von 1994 ist heute völlig vergessen. Aus einer dezentralen und heterogenen „Befreiungsbewegung“gegen die (damalige) Herrschaft der beiden (damaligen) Großparteien ist eine doktrinäre Kaderpartei aus Berufspolitikern geworden, deren Kanon an Geboten und Verboten inzwischen selbst den der Kirche in den Schatten stellt. So gesehen wird es schwierig sein, sich aus der selbstgeschaffenen Blase zu befreien, schwierig, aber nicht unmöglich.
Ich wünsche meinem alten Kollegen Georg Willi alles Gute für die Stichwahl. Aber, auch wenn er es schaffen sollte: Die wirkliche Herkulesarbeit, nämlich die Rückkehr der Partei zu den ursprünglichen Zielen und die Wiedergewinnung der heimatlosen bürgerlichen Grünen – die wird wesentlich schwieriger werden.