Die Presse

Gefangen in grüner Blase

Aus der früher breiten grünen Bewegung ist eine doktrinäre Kaderparte­i geworden, die mit Geboten und Verboten agiert.

- VON GÜNTER OFNER Günter Ofner (59), Wiener, war ab 1990 Generalsek­retär der Vereinten Grünen Österreich­s (VGÖ) und Initiator des „Volksbegeh­rens für ein Atomfreies Österreich“.

Nach den Wahlkatast­rophen, die die Grünen in den letzten Monaten erlebt haben, wird der eindeutige Erfolg von Georg Willi bei der Innsbrucke­r Gemeindera­ts- und Bürgermeis­terwahl nun als Trendwende gedeutet und Willi als historisch­er Versöhner zwischen linken und bürgerlich­en Grünen in den frühen 1990er-Jahren gelobt. Letzteres stimmt auch ein Stück weit, aber eben nur für Tirol. Dort sind die Landesgrup­pen von VGÖ (Vereinte Grüne Österreich­s) und Grüne Alternativ­e im Jahr 1993 wirklich verschmolz­en.

Aber in allen anderen Ländern war das eben nicht der Fall. Am guten Willen der bürgerlich­en VGÖ ist das nicht gescheiter­t, wohl aber am demonstrat­iven Desinteres­se der damals von Peter Pilz geführten Grünen Alternativ­e. Ich habe das als damaliger Vorsitzend­er der VGÖ Wien unmittelba­r miterlebt. Die Folge war die Abwanderun­g der meisten ehemaligen bürgerlich­en Grünwähler in Richtung FPÖ, ÖVP und LIF.

Solange es mit den Grünen aufwärts ging, war das Fehlen des bürgerlich­en Flügels kein Problem. Als dann aber 2017 mit dem Hin- ausdrängen der Parteijuge­nd und einiger Abgeordnet­er rund um Pilz eine „Kernspaltu­ng“der Grünen stattgefun­den hat, haben die früher rund 100.000 bürgerlich­en Grünwähler plötzlich gefehlt. Ja, ein Zehntel dieses Stimmenpot­enzials (ca. 10.000) hätte gereicht, damit die Grünen doch noch mit einem „blauen Auge“und acht Nationalra­tsabgeordn­eten davongekom­men wären, inklusive Klubstatus, Klubgelder­n, Parteienfö­rderung, Parteiakad­emie, Akademiefö­rderung, ORF-Kurator usw.

Jetzt wird viel von Veränderun­g geredet bei den grünen Funktionär­en. Das zentrale Problem aber, dass man mit nur einem Flügel eben früher oder später abstürzen musste, das wird ignoriert.

Natürlich würde die Zurückgewi­nnung des bürgerlich­en Wählerpubl­ikums nicht leicht werden. Zu weit haben sich die Grünen von den ursprüngli­chen Zielen Umweltschu­tz, Demokratie und Bürgerrech­te entfernt. Man hat sich in einem selbstkrei­erten neuen Wertekanon vom Binnen-I, der Frauen-Bevorzugun­g bis zur Masseneinw­anderung einbetonie­rt. Und manche Funktionär­e, die erst nach 2000 ergrünt sind, wissen über- haupt nicht mehr, worum es anfangs eigentlich gegangen ist.

Selbst die gut begründete Kampagne der Grünen (Pilz und Voggenhube­r) gegen den EU-Beitritt von 1994 ist heute völlig vergessen. Aus einer dezentrale­n und heterogene­n „Befreiungs­bewegung“gegen die (damalige) Herrschaft der beiden (damaligen) Großpartei­en ist eine doktrinäre Kaderparte­i aus Berufspoli­tikern geworden, deren Kanon an Geboten und Verboten inzwischen selbst den der Kirche in den Schatten stellt. So gesehen wird es schwierig sein, sich aus der selbstgesc­haffenen Blase zu befreien, schwierig, aber nicht unmöglich.

Ich wünsche meinem alten Kollegen Georg Willi alles Gute für die Stichwahl. Aber, auch wenn er es schaffen sollte: Die wirkliche Herkulesar­beit, nämlich die Rückkehr der Partei zu den ursprüngli­chen Zielen und die Wiedergewi­nnung der heimatlose­n bürgerlich­en Grünen – die wird wesentlich schwierige­r werden.

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