Wofür die Frauen einst am 1. Mai auf die Straße gingen
Die Forderung nach Achtstundentag und Lohngerechtigkeit bleibt aktuell.
Ist er nicht schrecklich unmodern, der 1. Mai, mit der Erinnerung an die Arbeiterinnen und Arbeiter, die zuerst für den Zehn-, später für den Achtstundentag in die Straßenschlacht zogen? Arbeiten wir heute nicht ohnehin ganz anders, flexibler? Wie viel Patina haftet da an der Idee, für feste Arbeitszeiten und bessere Löhne zu demonstrieren?
Meine höchst lebendige Erinnerung an „meinen“1. Mai setzt in den späten 1970er-Jahren ein. Als blutjunge Studentin schwenkte ich nicht die rote Fahne der Genossen, sondern das lila Banner der Frauenbewegung. Wir hatten uns „hineinargumentiert“in den großen Maiaufmarsch, weit hinten, ausschließlich Frauen, Hunderte, mit durchdringenden Trillerpfeifen und Topfdeckeln: der autonome Frauenblock. Die Dokumente aus dieser Zeit werden in der Eröffnungsausstellung des Hauses der Geschichte Österreich ab kommenden November zu sehen sein.
Dabei ging es uns nicht nur um: „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit!“. Es ging auch um die unbezahlte, unsichtbare Arbeit, im Haushalt, in der Ehe und in der Kindererziehung: „Wir wollen keine Partner sein, wir wollen uns erst selbst befreien!“, skandierten wir über den Ring. Wir wollten nicht mehr warten.
Trotz Wirtschaftswachstum und Demokratie schien sich für den weiblichen Teil der Bevölkerung kaum etwas zu bewegen. Männer verdienten doppelt so viel wie Frauen, der Männeranteil im Nationalrat lag bei 90 Prozent. Von insgesamt 183 Abgeordneten waren 1979 gerade Mal 18 weiblich.
Eine irritierende Schieflage, draußen in der Politik und daheim in der Familie, wo unseren Müttern zum Teil noch das Geldverdienen im eigenen Beruf verboten worden war. Von unseren Vätern. Wir wussten, wie viele Stunden unsere Mütter für die Familie arbeiteten, ohne Anspruch auf Pension und soziale Sicherheit. Nicht wenige verlangten: Lohn für Hausarbeit! Einige von uns gingen zum 1. Mai genau dafür auf die Straße.
Was hat sich verändert? Der Anteil der männlichen Abgeordneten im Nationalrat liegt heute bei etwa 65 Prozent. An dieser stabilen Zweidrittelmehrheit wird derzeit eisern festgehalten. Die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern ist geringer geworden, schlägt sich aber weiterhin bitter im Portemonnaie der Frauen nieder. Für einen Euro, den ein Österreicher in der Stunde verdient, erhält die Österreicherin durchschnittlich 77 Cent – 23 Prozent weniger.
Das sind Zahlen aus 2014. Selbst wenn man alle „harten“Faktoren, wie schlecht bezahlte Frauenberufe, Einzelhandel, Büro und Friseur, und die geringere Berufserfahrung durch das Kinderkriegen herausrechnet, bleiben im Geldbörsel der Frau etwa zwölf Cent weniger. Pro Arbeitsstunde.
Was also schneidet so tief ins Gehalt? Es ist die Arbeit für die Kinder. Dabei geht es nicht um die Zeit nach der Geburt, sondern vor allem um die spätere Wahl des Arbeitsplatzes. In den gut bezahlten Jobs, im Management, in Leitungspositionen und im Finanzbereich, erwarten die Chefs Überstunden.
Genau deshalb bewerben sich Frauen dort seltener und weniger engagiert. Weil sie wissen, die Chance auf Teilzeit ist gering, die Chance auf eine 50-Stunden-Woche groß. Mit der lässt sich aber nur noch um Mitternacht so nebenbei und flexibel die Waschmaschine füllen. Denn rechnet man „das bisschen Haushalt“hinzu, kommen Mütter ohnehin immer auf einen Zehn- bis Zwölfstundentag. So betrachtet ist der 1. Mai revolutionär modern, mit der (ur-)alten Forderung nach Lohngerechtigkeit und einem Achtstundentag.