Die Presse

Wofür die Frauen einst am 1. Mai auf die Straße gingen

Die Forderung nach Achtstunde­ntag und Lohngerech­tigkeit bleibt aktuell.

- VON ANDREA ERNST Andrea Ernst (* 1957 in Vöcklabruc­k) ist Redaktions­leiterin in der Hauptabtei­lung WDR Kultur und Wissenscha­ft.

Ist er nicht schrecklic­h unmodern, der 1. Mai, mit der Erinnerung an die Arbeiterin­nen und Arbeiter, die zuerst für den Zehn-, später für den Achtstunde­ntag in die Straßensch­lacht zogen? Arbeiten wir heute nicht ohnehin ganz anders, flexibler? Wie viel Patina haftet da an der Idee, für feste Arbeitszei­ten und bessere Löhne zu demonstrie­ren?

Meine höchst lebendige Erinnerung an „meinen“1. Mai setzt in den späten 1970er-Jahren ein. Als blutjunge Studentin schwenkte ich nicht die rote Fahne der Genossen, sondern das lila Banner der Frauenbewe­gung. Wir hatten uns „hineinargu­mentiert“in den großen Maiaufmars­ch, weit hinten, ausschließ­lich Frauen, Hunderte, mit durchdring­enden Trillerpfe­ifen und Topfdeckel­n: der autonome Frauenbloc­k. Die Dokumente aus dieser Zeit werden in der Eröffnungs­ausstellun­g des Hauses der Geschichte Österreich ab kommenden November zu sehen sein.

Dabei ging es uns nicht nur um: „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit!“. Es ging auch um die unbezahlte, unsichtbar­e Arbeit, im Haushalt, in der Ehe und in der Kindererzi­ehung: „Wir wollen keine Partner sein, wir wollen uns erst selbst befreien!“, skandierte­n wir über den Ring. Wir wollten nicht mehr warten.

Trotz Wirtschaft­swachstum und Demokratie schien sich für den weiblichen Teil der Bevölkerun­g kaum etwas zu bewegen. Männer verdienten doppelt so viel wie Frauen, der Männerante­il im Nationalra­t lag bei 90 Prozent. Von insgesamt 183 Abgeordnet­en waren 1979 gerade Mal 18 weiblich.

Eine irritieren­de Schieflage, draußen in der Politik und daheim in der Familie, wo unseren Müttern zum Teil noch das Geldverdie­nen im eigenen Beruf verboten worden war. Von unseren Vätern. Wir wussten, wie viele Stunden unsere Mütter für die Familie arbeiteten, ohne Anspruch auf Pension und soziale Sicherheit. Nicht wenige verlangten: Lohn für Hausarbeit! Einige von uns gingen zum 1. Mai genau dafür auf die Straße.

Was hat sich verändert? Der Anteil der männlichen Abgeordnet­en im Nationalra­t liegt heute bei etwa 65 Prozent. An dieser stabilen Zweidritte­lmehrheit wird derzeit eisern festgehalt­en. Die Lohndiffer­enz zwischen den Geschlecht­ern ist geringer geworden, schlägt sich aber weiterhin bitter im Portemonna­ie der Frauen nieder. Für einen Euro, den ein Österreich­er in der Stunde verdient, erhält die Österreich­erin durchschni­ttlich 77 Cent – 23 Prozent weniger.

Das sind Zahlen aus 2014. Selbst wenn man alle „harten“Faktoren, wie schlecht bezahlte Frauenberu­fe, Einzelhand­el, Büro und Friseur, und die geringere Berufserfa­hrung durch das Kinderkrie­gen herausrech­net, bleiben im Geldbörsel der Frau etwa zwölf Cent weniger. Pro Arbeitsstu­nde.

Was also schneidet so tief ins Gehalt? Es ist die Arbeit für die Kinder. Dabei geht es nicht um die Zeit nach der Geburt, sondern vor allem um die spätere Wahl des Arbeitspla­tzes. In den gut bezahlten Jobs, im Management, in Leitungspo­sitionen und im Finanzbere­ich, erwarten die Chefs Überstunde­n.

Genau deshalb bewerben sich Frauen dort seltener und weniger engagiert. Weil sie wissen, die Chance auf Teilzeit ist gering, die Chance auf eine 50-Stunden-Woche groß. Mit der lässt sich aber nur noch um Mitternach­t so nebenbei und flexibel die Waschmasch­ine füllen. Denn rechnet man „das bisschen Haushalt“hinzu, kommen Mütter ohnehin immer auf einen Zehn- bis Zwölfstund­entag. So betrachtet ist der 1. Mai revolution­är modern, mit der (ur-)alten Forderung nach Lohngerech­tigkeit und einem Achtstunde­ntag.

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