Ein Wort für trauernde Eltern
Sprache. Es gibt Waisen, Witwen und Witwer – aber kein Wort für Eltern, die ein Kind verloren haben. In Frankreich will man das jetzt ändern – mithilfe der Präsidentengattin.
Waisen, Witwen, Witwer – aber wie nennt man Eltern, die ihr Kind verloren haben?
Fast alle Sprachen der Welt haben ein Wort für Kinder, die ihre Eltern verloren haben. Sehr viele Sprachen haben auch ein Wort für Menschen, die ihren Ehepartner verloren haben. Aber wie nennt man Eltern, die das vielleicht Schlimmste erleben, das man erleben kann – den Tod eines oder mehrerer Kinder? Für sie hat kaum eine Sprache ein Wort parat.
Eine schmerzhafte Lücke, fand die französische Autorin Nadia Bergougnoux. Sie lancierte eine Petition für ein neues Wort, die mittlerweile über 21.000 Unterstützer hat – darunter die Ehefrau des französischen Präsidenten, Brigitte Macron. Ziel ist es, die neue Erfindung in den „Larousse“, den französischen „Duden“, zu bringen.
„Parange“schlägt Bergougnoux vor. Ein Wort, das sich aus dem ersten Teil des Wortes für Eltern („parents“) und dem Wort für „Engel“(„ange“) zusammensetzt. Manchen mag das zu kitschig oder religiös klingen, die Autorin jedenfalls glaubt, damit Gläubige wie Ungläubige (wie sie selbst) zufriedenstellen zu können. Auf jeden Fall klingt „parange“, richtig ausgesprochen, sehr passend – es wird dunkel, tiefer in der zweiten Silbe, gleichzeitig tröstlich warm.
Sprachliche Anerkennung erlangen
Aus welchen Gründen haben die Menschen nicht schon Wörter erfunden: um neue Dinge, Empfindungen, Erfindungen zu bezeichnen, um die Sprache von Fremdwörtern „rein“zu halten, um Wörter durch schönere, prägnantere, modischere zu ersetzen. Ein ziemliches Novum in der Sprachgeschichte aber ist, dass man mit Neologismen emotio- nale Anerkennung erreichen will – weil Menschengruppen damit eine für sie wesentliche Eigenschaft oder ein Schicksal öffentlich wahrgenommen haben wollen. Was keinen Namen hat, wird nicht anerkannt, existiert nicht: Die Vorstellung sitzt tief in uns.
Der heutigen Gefühlswelt wird die Sprache, wenn es um Verluste naher Angehöriger geht, tatsächlich nicht gerecht. Im Deutschen entstand schon im frühen Mittelalter das Wort für ein elternloses Kind – „weiso“, abgeleitet vom Wort für verlassen. Auch „Witwe“beziehungsweise „Witwer“(die in zunehmend ehelosen Zeiten immer altmodischer klingen) wurzeln im frühen Mittelalter. Ob man Waise oder Witwe war, war sehr früh juristisch und sozial relevant – aber der Verlust eines Kindes? Nur eine Minderheit der Kinder im Mittelalter erreichte das Erwachsenenalter.
Ein Wort für um Kinder trauernde Eltern täte wohl auch dem Deutschen gut. Seit Jahrzehnten bietet die Sprache immerhin die „verwaisten Eltern“an; so lautete der deutsche Titel des Buchs „The bereaved parent“(1978) von Harriet S. Schiff, er machte den Begriff beliebt.
Verwendet freilich hat die „verwaisten Eltern“schon ein Dichter, der selbst dazu zählte, fast 150 Jahre davor – Friedrich Rückert. „. . . da saßen wir nun, verwaiste Eltern“, liest man in seinen „Kindertotenliedern“, die später den ebenfalls verwaisten Vater Gustav Mahler zu den „Kindertotenliedern“inspirierten. Sogar schon davor kommen die „verwaisten Eltern“in de la Motte Fouques´ Erzählung „Undine“vor.
Auch das Englische hat bis heute kein Wort für trauernde Eltern. Ob Frankreich mit „parange“den Anfang macht, muss sich weisen. Immerhin hat es das Wort bisher ins Wartezimmer des „Larousse“geschafft – in die Neologismensammlung der Linguisten. Dort wartet es jetzt auf Anerkennung.