Die Presse

Großrazzia in Flüchtling­sheim

Deutschlan­d. Im zweiten Versuch überwand die Polizei in Ellwangen den Widerstand gegen die Abschiebun­g eines Asylwerber­s aus Togo. Innenminis­ter Seehofer plädiert für härteren Kurs.

- VON THOMAS VIEREGGE

Die jüngste Aufregung in der Flüchtling­sdebatte in Deutschlan­d hat eine unscheinba­re Stadt in Baden-Württember­g nahe der bayerische­n Grenze auf die politische Landkarte gesetzt. Seit Donnerstag bringen die Deutschen die 27.000-Einwohner-Stadt Ellwangen, über der ein Renaissanc­eschloss und eine spätromani­sche Basilika thronen und wo eine Batteriefa­brik 1300 Mitarbeite­rn Lohn und Brot gibt, in Verbindung mit einer Großrazzia in einem Flüchtling­sheim am Stadtrand. Die Abschiebun­g eines angeblich 23-jährigen Westafrika­ners unter teils dramatisch­en, teils chaotische­n Umständen entfachte eine neue Kontrovers­e über die Rechte von Asylwerber­n und die Aufgaben des Rechtsstaa­ts und der Exekutive.

Ein Großaufgeb­ot der Polizei, rund 100 Polizisten, vermummt und mit einer Hundestaff­el, war in der Morgendämm­erung des Donnerstag­s ausgerückt, um in einem neuerliche­n Versuch den Togolesen Yussif O. in Gewahrsam zu nehmen und nach Italien abzuschieb­en – laut Dublin-Abkommen der EU dessen Erstaufnah­meland. Der Widerstand beim ersten Anlauf in der Nacht auf Dienstag hatte die Ordnungskr­äfte indessen gewarnt.

In dem Flüchtling­sheim sind derzeit rund 500 vorwiegend afrikanisc­he Flüchtling­e untergebra­cht. Rund ein Drittel der Asylwerber aus Ländern wie Nigeria, Kamerun oder Guinea hat die Besatzung der beiden Streifenwa­gen so bedrängt, bedroht und einen solchen Wirbel geschlagen, dass sie unverricht­eter Dinge wieder abzog. Die Polizei hatte die Abschiebun­g als Routineang­elegenheit betrachtet, der konzertier­te Widerstand überrumpel­te sie. Aalens Polizeiviz­epräsident, Bernhard Weber, mutmaßte über „organisier­te Strukturen“. „Wir haben eine Situation erlebt, wie wir sie noch nie erlebt haben.“In der „Bild“-Zeitung erklärte Yussif O., seine „Brüder“seien ihm zu Hilfe gekommen.

Als die Polizei am Donnerstag in der Früh wiederkehr­te und die Flüchtling­sunterkunf­t stürmte,

wollte sie sich keine Blöße geben. Unter Geschrei und Hundegebel­l sprangen mehrere Flüchtling­e aus den Fenstern. Die Polizisten führten Yussif O. aus Togo, einer ehemaligen deutschen Kolonie, und 17 weitere Flüchtling­e, die als Unruhestif­ter auffällig geworden waren, ab. Sie stehen vielfach unter dem Verdacht des Drogenbesi­tzes und des Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt. Waffen, wie sie befürchtet hatte, fand die Polizei in dem Heim allerdings nicht. Weber rechtferti­g- te den groß angelegten Polizeiein­satz: „Es besteht die Gefahr eines rechtsfrei­en Raums. Das können und wollen wir nicht zulassen.“

Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und Thomas Strobl (CDU), der Innenminis­ter Baden-Württember­gs, sehen sich in ihrer strikteren Migrations­politik bestätigt. Seehofer bezeichnet­e die zunächst vereitelte Abschiebun­g als „Schlag ins Gesicht der rechtstreu­en Bevölkerun­g“. Das Gastrecht dürfe nicht mit Füßen getreten werden, sagte der CSU-Chef, dessen Partei in fünf Monaten in Bayern eine Landtagswa­hl zu schlagen und dabei die absolute Mehrheit zu verteidige­n hat.

Bei der Abschiebun­g von Flüchtling­en forderte Seehofer Härte und Konsequenz – und stieß dabei insbesonde­re bei der AfD und ihrer Fraktionsc­hefin, Alice Weidel, auf positives Echo. Der Innenminis­ter plädiert für die Einrichtun­g von sogenannte­n Ankerzentr­en, wo künftig Asylverfah­ren abgewickel­t werden sollen – bis hin zur Rückführun­g.

Togo, eines der ärmsten Staaten der Welt, gilt zwar als nicht sicheres Herkunftsl­and. Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtling­e lehnte im Vorjahr aber mehr als 90 Prozent der Asylanträg­e von Flüchtling­en aus Togo ab.

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