Die britische Soul-Queen hat ihre alten Fans wieder
Museumsquartier Wien. Lisa Stansfield begeisterte die ältere Jugend mit souligem Gesang und ruppigen Ansagen.
Längst gilt sie als legitime Nachfolgerin von Dusty Springfield, jener britischen Soulsängerin, die auch in den USA, der Heimat des Genres, größte Erfolge erzielen konnte: Lisa Stansfield, im Umland der Industriestadt Manchester aufgewachsen, gründete 1984 mit ihrem Schulkollegen und heutigen Ehemann Ian Devaney die Band Blue Zone. Man lockte mit klobigen Beats, saccharinsüßen Saxofonsoli, streichelweichen Synthieflächen. Auf dieser Grundlage entwickelte Stansfield ihre persönliche Form von Soul. Damalige Songs wie „Love Is a Good Thing“und „Jackie“sind irgendwie zeitlos geblieben – was nicht an der Instrumentierung liegt, sondern nur an der Stimme Stansfields, die rührend unschlüssig zwischen Coolness und viel Sehnsucht pendelte.
Diese köstliche Ambivalenz hat sie sich bewahrt. Ihr neues Werk „Deeper“ist eine enthusiastische Reminiszenz an ihre ersten beiden, souligen Soloalben. Wissend changiert sie zwischen seidigen Balladen und satten Groovenummern mit Bläser- und Perkussionsenergie. Betriebsamkeit herrschte auch auf der Bühne im Museumsquartier, wenngleich die Streicher daheim bleiben mussten. Dafür war Mark Cotgrove, der „Deeper“mitproduziert hat, mit einer ganzen Batterie von Congas und anderem Rasselzeugs mit dabei. Unter seinem Künstlernamen Snowboy sorgt er seit Beginn der Neunziger als DJ wie als Musiker für wackelnde Hintern. So auch in Wien, obwohl die Hüften hier langsamer wogten. Gewiss nicht aus Altersschwäche, eher, weil das Eleganzbedürfnis mit den Lebensjahren steigt.
Stansfield hat offenbar ihr altes Publikum wieder. Nicht nur wegen des exzellenten neuen Albums. Viele Fans, deren Jugendjahre sie mit ihrer Musik gewürzt hat, haben mittlerweile die eigenen Kinder großgezogen und dürfen wieder auf die Walz. Das erklärt, dass Stansfield zum ersten Mal seit Jahren wieder größere Hallen füllt.
Mit einem laut ausgerufenen „Fantastic!“verletzte sie die britische Etikette, die ja Zurückhaltung in allen Lebenslagen gebietet. Trotz Bronchitis verlangte sich Stansfield das Äußerste ab. Gefährlich schnurrte sie Barry Whites „Never, Never Gonna Give You Up“, verzehrte sich nach dem „Real Thing“. Köstlich war die Diskrepanz zwischen den gestylten Sounds und ihrer ruppigen Sprechstimme: In derbem nordenglischen Dialekt bedauerte sie den bevorstehenden Brexit. Die Einheit, die sie kraft ihres Gesangs herstellen kann, ist jedenfalls überpolitisch. Beim hauchzarten „Deeper“hingen alle an ihren Lippen, träumten sich ins Philadelphia der Siebzigerjahre, wo die elegantesten Soulsongs der Welt entstanden.
Mit „All Around the World“hat die bleiche Arbeiterklasse-Britin 1989 selbst die amerikanischen R&B-Charts angeführt: Die immerjunge Melodie tut auch 2018 ihre Wirkung: Die Fans ruderten mit den Armen in der Luft, sangen begeistert mit, wenn es hieß: „All around the world people want to be loved.“Mit dem Discoklassiker „Young Hearts Run Free“warb Stansfield ganz zu Ende noch dafür, das Lebensgefühl der eigenen, mitunter fernen Jugend neu zu beleben. Sie hat es nie verloren.