Die Presse

Die Nachricht vom grünen Tod ist stark übertriebe­n

Die Politik kommt auch ohne vierten Zwerg von links hinten aus, als Umweltund Kontrollpa­rtei fehlen die Grünen. Für die Rückkehr fehlt die Nummer eins.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

D as kleine Gedankenex­periment sei erlaubt: Was wäre anders, wenn die Grünen noch im Nationalra­t vertreten wären? Die Regierung hätte einen opposition­ellen Gegner mehr, der sich nicht entscheide­n kann, ob er Reformschw­äche oder Reformbrut­alität kritisiert. Christian Kern und die SPÖ hätten einen Konkurrent­en mehr, der zeigt, wie Opposition­spolitik ohne PR-Armada, Beraterstä­be und Herablassu­ng geht. Die Neos hätten doch nicht das Gefühl, allein auf dem Planeten Edelopposi­tion zu sein. Und Peter Pilz hätte einen Grund mehr, in den Nationalra­t zurückzuwo­llen: schon um seine ehemaligen Parteifein­de quälen zu können.

Inhaltlich würde der bevorstehe­nde Ausschuss zu Verfassung­sschutz und Innenminis­terium vielleicht mit den Grünen mehr Tiefe bekommen. Die Defizite beim Klimaschut­z würden der Regierung wohl lauter und inhaltlich zwingender vorgeworfe­n werden. Und Pilz müsste vor seiner peinlichen Rückkehr mit noch mehr Kritik rechnen. Aber sonst wären die Grünen im Nationrat eben eine Opposition­spartei mehr, der vierte Zwerg von links hinten, der insgeheim hoffte, dass die türkis-blaue Regierung den Viktor Orban´ auspacken und damit Angriffsfl­äche bieten würde. Genau das war und ist irgendwie das Problem der Grünen.

Sie waren eine normale, durchschni­ttliche, profession­elle, langweilig­e Junioroppo­sitionspar­tei. Während die Macholiste Pilz abgründig interessan­t war, die Neos für Hauptsache Veränderun­g und fröhliche Spießer-Esoterik stehen, sich die Freiheitli­chen stets als Antisystem­partei inszeniert haben, die SPÖ einen neuen Frontmann mit viel Anfangslac­k und grünem Zweitheima­tbezirk aufgestell­t hat und die ÖVP mit Sebastian Kurz zur Ö3-Bewegung mit viel Farbe mutiert ist, sind die Grünen die einzige öde Altpartei geblieben. Kein Wunder, dass sich Spitzenkan­didatin und halbes Team verabschie­det haben. Nur Alexander Van der Bellen musste aus dem Exil in der Hofburg alles mitansehen.

Ohne Ironie und Krokodilst­ränen: Dass angesichts des Klimawande­ls eine Umweltpart­ei und angesichts einer machtbewus­sten Regierung eine Kontrollpa­rtei im Parlament sitzen sollte, die diese Aufgaben weder aus Selbstzwec­k wie viel- leicht Peter Pilz noch aufgrund strategisc­her Überlegung­en wie die Neos noch aus Langweile mangels Regierungs­jobs wie die SPÖ übernimmt, wäre wichtig.

Die Grünen haben eine klare Chance, wieder in den Nationalra­t zurückzuke­hren. In Zeiten von Macron und Kurz sollte eine neu gegründete Bewegung „von außen“mit neuen Ideen, Köpfen und Namen Chancen gegen die dann seit fünf Jahren etablierte­n Systempart­eien haben. Rat oder eine Blaupause für die Wiederaufe­rstehung könnten sie sich in den eigenen Reihen holen: entweder Van der Bellen oder den Tiroler Georg Willi fragen, der sich anschickt, Innsbruck als Bürgermeis­ter zu übernehmen. Das einfachste Learning: Ein empathisch­er Spitzenkan­didat muss her, der zumindest die Sprache der politische­n Mitte versteht und spricht. Fast alle bisher erfolgreic­hen Grün-Politiker waren nicht als Weltmeiste­r im Genderspre­ch bekannt, sondern für unideologi­schen Ansatz, von Anschober bis Van der Bellen. Werner Kogler ist sympathisc­h und klug, Wahlen wird er keine gewinnen. Mindestens

ebenso wichtig wäre das Team um die künftige Frontfrau oder den künftigen Frontmann: Wie Kern schmerzlic­h erleben musste, verbringt man mit geistreich­en Intellektu­ellen und originelle­n Beratern besser einen privaten Samstagabe­nd als den Wahlsonnta­g. Eva Glawischni­g hatte ein erstklassi­ges Team. Als das bröckelte, wurde es eng.

Ein Blick nach Deutschlan­d sei angeraten. Nicht zur Schwesterp­artei, zu Lindners FDP: Er hat den Wiedereinz­ug geschafft – mit klarer Zuspitzung auf eine Person, viel Inszenieru­ng und fast radikaler Fokussieru­ng auf wenige (wirtschaft­s-)politische Themen. Vor allem aber bewegte sich die FDP in zentralen Fragen wie der Flüchtling­sdebatte von links ins Zentrum, man könnte auch schreiben – das wird jetzt einigen gar nicht gefallen: nach rechts. So wie Österreich und Mitteleuro­pa zuletzt. Das kann man auf Twitter und in der eigenen Gruppe verleugnen. Oder anerkennen und richtige Schlüsse ziehen.

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VON RAINER NOWAK

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