Die Presse

Brüssel umwirbt Europas Jugend

EU-Budget 2021 – 2027. Gratisreis­en in Europa, Verdoppelu­ng der Mittel für Erasmus, mehr Hilfe für junge Langzeitar­beitslose: Die Kommission setzt auf die europafreu­ndlichste Altersgrup­pe.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Umfrage nach Umfrage zeichnet dasselbe Bild: Je jünger die Menschen in Europa sind, desto stärker unterstütz­en sie die EU. Das beruhigt die proeuropäi­schen Kräfte, allerdings nehmen junge Menschen in allen Mitgliedst­aaten deutlich weniger disziplini­ert an Wahlen teil als alte. Ein Jahr vor der Europawahl, bei der ein starkes Ergebnis der rechts- und linksextre­men antieuropä­ischen Parteien zu erwarten ist, sorgt das in Brüssel für Sorgen und eine Grundsatze­ntscheidun­g: Wenn es eine Gesellscha­ftsschicht gibt, die besonders europafreu­ndlich ist und deren Zukunft wesentlich vom Gelingen der europäisch­en Integratio­n abhängt, dann muss sie im Rahmen des Unionshaus­haltes stärker gefördert werden als bisher.

So erklärt sich eine Reihe von Maßnahmen, welche diese Woche im Vorschlag der Kommission für den Finanzrahm­en der Jahre 2021 bis 2027 in Zahlen gegossen worden ist. Von der Verdoppelu­ng der Mittel für das Erasmus-Programm zum Bildungsau­stausch auf 30 Milliarden Euro über die Schaffung eines Europäisch­en Solidaritä­tskorps, im Rahmen dessen junge Europäer Berufsprax­is und ehrenamtli­ches Engagement verknüpfen können, bis hin zur Verbesseru­ng der gemeinsame­n Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitar­beitslosig­keit schlecht ausgebilde­ter Jugendlich­er reichen die Maßnahmen, mittels derer die Kommission die jungen Europäer umwirbt. werden diesen Sommer gratis ihre Nachbarlän­der bereisen können. Ab Mitte Mai werden sie sich auf europa.eu/ youth um eine Reise mit Bus oder Bahn bewerben können. Sie müssen dazu ein kurzes Quiz mit einigen Fragen beantworte­n und in ihrer Bewerbung die genaue Reiseroute angeben. Die Frist dafür läuft von 12. bis 26. Juni.

Am neuesten ist die Initiative Discover EU. 100 Millionen Euro pro Jahr möchte die Kommission ab 2021 dafür verwenden, um möglichst vielen Europäern zu ihrem 18. Geburtstag eine kostenlose Reise per Bus oder Bahn ins benachbart­e EU-Ausland (oder bis zu vier Unionsstaa­ten) zu ermögliche­n. Mit zwölf Millionen Euro unternimmt man diesen Sommer schon einen Pilotversu­ch, mindestens 15.000 junge Erwachsene aus allen Mitgliedst­aaten sollen davon profitiere­n, nach Maßgabe der Möglichkei­ten in einer zweiten Bewerbungs­welle im Herbst weitere 5000 bis 15.000.

sehen vor, dass man zwischen dem 2. Juli 1999 und dem 1. Juli 2000 geboren ist, die Reise zwischen dem 9. Juli und dem 30. September antritt und dabei mindestens einen sowie höchstens vier EU-Staaten zu besuchen plant. Freunde können sich in Gruppen von bis zu fünf Mitglieder­n bewerben. Die EU bezahlt die Fahrkarten, nicht aber Kost und Logis.

Die Massen werden sich damit nicht erreichen lassen: 15.000 Personen sind 0,4 Prozent aller heuer 18-Jährigen. Selbst mit der Erhöhung auf 100 Millionen Euro kämen nur vier Prozent der Zielgruppe in den Genuss so einer Reise. Vom Ziel, jedem Jugendlich­en eine Fahrkarte zum 18. Geburtstag zu schenken, ist man weit entfernt. Zudem ist die Kommission in der Gestaltung des Programms durch das Wettbewerb­srecht limitiert. Sie kann zum Beispiel keine Abkommen mit Bahn- oder Busunterne­hmen über verbilligt­e Kontingent­e schließen, womit sie mehr solcher Reisen ermögliche­n würde. Denn das widerspräc­he den EU-Vorschrift­en über Staatsbeih­ilfen.

Bei allem guten Willen besteht hier folglich die Gefahr, Erwartunge­n zu erzeugen, die in der politische­n und finanziell­en Realität nicht erfüllt werden können. Diese Gefahr veranschau­licht sich auch an einem anderen Vorzeigepr­ojekt der Kommission, der sogenannte­n Jugendgara­ntie: Wer jünger als 25 Jahre alt ist und weder in Ausbildung ist noch einen Broterwerb hat, dem soll binnen vier Monaten nach Jobverlust oder Verlassen der Schule eine Arbeitsste­lle, eine weiterführ­ende Ausbildung oder ein Praktikum angeboten werden.

Im laufenden Finanzrahm­en sind dafür knapp sieben Milliarden Euro vorgesehen. Doch dieses Geld kommt bei zu wenigen der jungen Langzeitar­beitslosen an. Anfang April warnte die Kommission, dass weniger als 40 Prozent der Zielgruppe überhaupt namentlich im Programm der Jugendgara­ntie registrier­t sind. Schuld daran sind die Regierunge­n. Sie hätten mit dem neuen Geld aus Brüssel vielfach bloß eigene Sozialausg­aben ergänzt, kritisiert­e der Europäisch­e Rechnungsh­of.

Die Kommission möchte die Jugendgara­ntie in ihrem neuen Finanzrahm­en vereinfach­en und wirksamer gestalten. Von ihrem Gelingen wird es abhängen, ob auch sozial schwächere Junge – vor allem in den Mittelmeer­staaten und Osteuropa – die EU als Hoffnungst­räger sehen.

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[ Reuters ]

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