Brüssel umwirbt Europas Jugend
EU-Budget 2021 – 2027. Gratisreisen in Europa, Verdoppelung der Mittel für Erasmus, mehr Hilfe für junge Langzeitarbeitslose: Die Kommission setzt auf die europafreundlichste Altersgruppe.
Umfrage nach Umfrage zeichnet dasselbe Bild: Je jünger die Menschen in Europa sind, desto stärker unterstützen sie die EU. Das beruhigt die proeuropäischen Kräfte, allerdings nehmen junge Menschen in allen Mitgliedstaaten deutlich weniger diszipliniert an Wahlen teil als alte. Ein Jahr vor der Europawahl, bei der ein starkes Ergebnis der rechts- und linksextremen antieuropäischen Parteien zu erwarten ist, sorgt das in Brüssel für Sorgen und eine Grundsatzentscheidung: Wenn es eine Gesellschaftsschicht gibt, die besonders europafreundlich ist und deren Zukunft wesentlich vom Gelingen der europäischen Integration abhängt, dann muss sie im Rahmen des Unionshaushaltes stärker gefördert werden als bisher.
So erklärt sich eine Reihe von Maßnahmen, welche diese Woche im Vorschlag der Kommission für den Finanzrahmen der Jahre 2021 bis 2027 in Zahlen gegossen worden ist. Von der Verdoppelung der Mittel für das Erasmus-Programm zum Bildungsaustausch auf 30 Milliarden Euro über die Schaffung eines Europäischen Solidaritätskorps, im Rahmen dessen junge Europäer Berufspraxis und ehrenamtliches Engagement verknüpfen können, bis hin zur Verbesserung der gemeinsamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit schlecht ausgebildeter Jugendlicher reichen die Maßnahmen, mittels derer die Kommission die jungen Europäer umwirbt. werden diesen Sommer gratis ihre Nachbarländer bereisen können. Ab Mitte Mai werden sie sich auf europa.eu/ youth um eine Reise mit Bus oder Bahn bewerben können. Sie müssen dazu ein kurzes Quiz mit einigen Fragen beantworten und in ihrer Bewerbung die genaue Reiseroute angeben. Die Frist dafür läuft von 12. bis 26. Juni.
Am neuesten ist die Initiative Discover EU. 100 Millionen Euro pro Jahr möchte die Kommission ab 2021 dafür verwenden, um möglichst vielen Europäern zu ihrem 18. Geburtstag eine kostenlose Reise per Bus oder Bahn ins benachbarte EU-Ausland (oder bis zu vier Unionsstaaten) zu ermöglichen. Mit zwölf Millionen Euro unternimmt man diesen Sommer schon einen Pilotversuch, mindestens 15.000 junge Erwachsene aus allen Mitgliedstaaten sollen davon profitieren, nach Maßgabe der Möglichkeiten in einer zweiten Bewerbungswelle im Herbst weitere 5000 bis 15.000.
sehen vor, dass man zwischen dem 2. Juli 1999 und dem 1. Juli 2000 geboren ist, die Reise zwischen dem 9. Juli und dem 30. September antritt und dabei mindestens einen sowie höchstens vier EU-Staaten zu besuchen plant. Freunde können sich in Gruppen von bis zu fünf Mitgliedern bewerben. Die EU bezahlt die Fahrkarten, nicht aber Kost und Logis.
Die Massen werden sich damit nicht erreichen lassen: 15.000 Personen sind 0,4 Prozent aller heuer 18-Jährigen. Selbst mit der Erhöhung auf 100 Millionen Euro kämen nur vier Prozent der Zielgruppe in den Genuss so einer Reise. Vom Ziel, jedem Jugendlichen eine Fahrkarte zum 18. Geburtstag zu schenken, ist man weit entfernt. Zudem ist die Kommission in der Gestaltung des Programms durch das Wettbewerbsrecht limitiert. Sie kann zum Beispiel keine Abkommen mit Bahn- oder Busunternehmen über verbilligte Kontingente schließen, womit sie mehr solcher Reisen ermöglichen würde. Denn das widerspräche den EU-Vorschriften über Staatsbeihilfen.
Bei allem guten Willen besteht hier folglich die Gefahr, Erwartungen zu erzeugen, die in der politischen und finanziellen Realität nicht erfüllt werden können. Diese Gefahr veranschaulicht sich auch an einem anderen Vorzeigeprojekt der Kommission, der sogenannten Jugendgarantie: Wer jünger als 25 Jahre alt ist und weder in Ausbildung ist noch einen Broterwerb hat, dem soll binnen vier Monaten nach Jobverlust oder Verlassen der Schule eine Arbeitsstelle, eine weiterführende Ausbildung oder ein Praktikum angeboten werden.
Im laufenden Finanzrahmen sind dafür knapp sieben Milliarden Euro vorgesehen. Doch dieses Geld kommt bei zu wenigen der jungen Langzeitarbeitslosen an. Anfang April warnte die Kommission, dass weniger als 40 Prozent der Zielgruppe überhaupt namentlich im Programm der Jugendgarantie registriert sind. Schuld daran sind die Regierungen. Sie hätten mit dem neuen Geld aus Brüssel vielfach bloß eigene Sozialausgaben ergänzt, kritisierte der Europäische Rechnungshof.
Die Kommission möchte die Jugendgarantie in ihrem neuen Finanzrahmen vereinfachen und wirksamer gestalten. Von ihrem Gelingen wird es abhängen, ob auch sozial schwächere Junge – vor allem in den Mittelmeerstaaten und Osteuropa – die EU als Hoffnungsträger sehen.