Der neue, alte Feind im Osten
Deutschland. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Armee stärker auf die Bedrohung durch Russland ausrichten und die Landes- und Bündnisverteidigung ausbauen.
Jahrelang prägten die Truppenbesuche im Ausland das öffentliche Bild der deutschen Verteidigungsminister. Ob in Kabul oder zuletzt vermehrt auch in Bamako, der Hauptstadt Malis: Die Stippvisiten bei Bundeswehrsoldaten im Einsatz gegen die Taliban oder islamistische Milizen gehörten im Antiterrorkrieg zum Standardprogramm Ursula von der Leyens (CDU) und ihrer Vorgänger.
Peter Strucks Ausspruch aus dem Jahr 2002 war zum Credo der Verteidigungsstrategie in Berlin geworden: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.“Karl-Theodor zu Guttenberg, einer seiner Nachfolger, setzte ohne Gezeter 2010 sogar das Ende der allgemeinen Wehrpflicht fest, eines der Fundamente der Bundeswehr – der sogenannten Parlamentsarmee. Ein Auslandseinsatz galt in der Nachkriegszeit ohnehin als Tabu.
Doch nach Ende des Kalten Kriegs hatte die deutsche Scheckbuchdiplomatie ausgedient. Der KosovoKrieg leitete just unter der rot-grünen Koalition eine Phase des militärischen Engagements im Rahmen von Nato-Einsätzen ein. Der Feind lauerte nicht mehr im Osten, sondern im Hinterhof – erst auf dem Balkan und nach dem 9/11-Terror im Nahen und Mittleren Osten, wo auch Europas Sicherheit auf dem Spiel stand.
Nun verordnet die Verteidigungsministerin der Armee ein neues Konzept. Ein Grundsatzpapier, das in Berlin kursiert und aus dem die „Süddeutsche Zeitung“zitierte, schlägt einen Paradigmenwechsel vor. Nicht, dass Deutschland seine Auslandsmissionen aufgeben sollte. Sie sollten nur nicht mehr Priorität haben. Denn das Verteidigungsministerium in Berlin sieht sich mit einem Bedrohungsszenario konfrontiert, das mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg in der Ostukraine bereits 2014 evident geworden ist. Die Konfliktlinien sind näher an Deutschland und vor allem die Nato-Grenzen gerückt. Ein Weißbuch bezeichnete Russland vor zwei Jahren als „Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent.“
Von der Leyens Militärstrategen treten dafür ein, die Landesund Bündnisverteidigung gegenüber den Auslandseinsätzen gleichrangig zu behandeln. Die Rede ist von „nationaler Sicherheitsvorsorge“. Es gebe „höchsten Nachholbedarf“, heißt es im Entwurf zur „Konzeption der Bundeswehr“in Anspielung auf Struktur- und Ausrüstungsmängel bis hin zur Misere bei bestimmten Waffengattungen. Nächster Schritt ist die Erstellung eines Fähigkeitsprofils im Herbst. Die Opposition wittert dagegen inmitten einer Kontroverse in der Koalition um die finanzielle Dotierung der Armee eine „Bundeswehrreform durch die Hintertür“.
In den vergangenen Jahren hatte das Ministerium die Aufgaben der Landesverteidigung zugunsten der Auslandsmissionen vernachlässigt. Mehrausgaben im Ausland standen Einsparungen im Inland gegenüber. Es wurden Kasernen geschlossen, und gravierende Defizite machten Schlagzeilen – von fehlenden Unterhosen bis zu defekten U-Booten, Transporthubschraubern und Kampfjets. „Arme Armee“, titelte jüngst die „Zeit“.
Ursula von der Leyen, seit Ende 2013 im Amt, hatte zuletzt Investitionen von einer Milliarde verfallen lassen. Zu Beginn der neuen Legis- laturperiode ist sie nun gewillt, die Verbesserung der Ausrüstung und Ausstattung der Bundeswehr voranzutreiben. Ein besonderes Anliegen ist ihr der Ausbau der Cybersicherheit. Für den Verteidigungsetat forderte sie ein Plus von zwölf Milliarden Euro bis zum Jahr 2012, muss sich aber vorerst mit 2,5 Mrd. Euro begnügen. Sie hat zwar die Rückendeckung Angela Merkels, beißt bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD) aber vorerst auf Granit und muss sich die Häme des Koalitionspartners gefallen lassen.
Der potenziellen Merkel-Nachfolgerin geht es daneben auch darum, ihr Ansehen bei der Truppe wiederzuerlangen, das sie im Vorjahr mit ihrer harschen pauschalen Kritik im Zuge einer Vergangenheitsdebatte verloren hat – und so auch bei ihrer Partei zu punkten. Das Verteidigungsministerium gilt indes als undankbarer Job, das viele Ressortchefs verschlissen hat.