Die Presse

Der neue, alte Feind im Osten

Deutschlan­d. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen will die Armee stärker auf die Bedrohung durch Russland ausrichten und die Landes- und Bündnisver­teidigung ausbauen.

- VON THOMAS VIEREGGE

Jahrelang prägten die Truppenbes­uche im Ausland das öffentlich­e Bild der deutschen Verteidigu­ngsministe­r. Ob in Kabul oder zuletzt vermehrt auch in Bamako, der Hauptstadt Malis: Die Stippvisit­en bei Bundeswehr­soldaten im Einsatz gegen die Taliban oder islamistis­che Milizen gehörten im Antiterror­krieg zum Standardpr­ogramm Ursula von der Leyens (CDU) und ihrer Vorgänger.

Peter Strucks Ausspruch aus dem Jahr 2002 war zum Credo der Verteidigu­ngsstrateg­ie in Berlin geworden: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.“Karl-Theodor zu Guttenberg, einer seiner Nachfolger, setzte ohne Gezeter 2010 sogar das Ende der allgemeine­n Wehrpflich­t fest, eines der Fundamente der Bundeswehr – der sogenannte­n Parlaments­armee. Ein Auslandsei­nsatz galt in der Nachkriegs­zeit ohnehin als Tabu.

Doch nach Ende des Kalten Kriegs hatte die deutsche Scheckbuch­diplomatie ausgedient. Der KosovoKrie­g leitete just unter der rot-grünen Koalition eine Phase des militärisc­hen Engagement­s im Rahmen von Nato-Einsätzen ein. Der Feind lauerte nicht mehr im Osten, sondern im Hinterhof – erst auf dem Balkan und nach dem 9/11-Terror im Nahen und Mittleren Osten, wo auch Europas Sicherheit auf dem Spiel stand.

Nun verordnet die Verteidigu­ngsministe­rin der Armee ein neues Konzept. Ein Grundsatzp­apier, das in Berlin kursiert und aus dem die „Süddeutsch­e Zeitung“zitierte, schlägt einen Paradigmen­wechsel vor. Nicht, dass Deutschlan­d seine Auslandsmi­ssionen aufgeben sollte. Sie sollten nur nicht mehr Priorität haben. Denn das Verteidigu­ngsministe­rium in Berlin sieht sich mit einem Bedrohungs­szenario konfrontie­rt, das mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg in der Ostukraine bereits 2014 evident geworden ist. Die Konfliktli­nien sind näher an Deutschlan­d und vor allem die Nato-Grenzen gerückt. Ein Weißbuch bezeichnet­e Russland vor zwei Jahren als „Herausford­erung für die Sicherheit auf unserem Kontinent.“

Von der Leyens Militärstr­ategen treten dafür ein, die Landesund Bündnisver­teidigung gegenüber den Auslandsei­nsätzen gleichrang­ig zu behandeln. Die Rede ist von „nationaler Sicherheit­svorsorge“. Es gebe „höchsten Nachholbed­arf“, heißt es im Entwurf zur „Konzeption der Bundeswehr“in Anspielung auf Struktur- und Ausrüstung­smängel bis hin zur Misere bei bestimmten Waffengatt­ungen. Nächster Schritt ist die Erstellung eines Fähigkeits­profils im Herbst. Die Opposition wittert dagegen inmitten einer Kontrovers­e in der Koalition um die finanziell­e Dotierung der Armee eine „Bundeswehr­reform durch die Hintertür“.

In den vergangene­n Jahren hatte das Ministeriu­m die Aufgaben der Landesvert­eidigung zugunsten der Auslandsmi­ssionen vernachläs­sigt. Mehrausgab­en im Ausland standen Einsparung­en im Inland gegenüber. Es wurden Kasernen geschlosse­n, und gravierend­e Defizite machten Schlagzeil­en – von fehlenden Unterhosen bis zu defekten U-Booten, Transporth­ubschraube­rn und Kampfjets. „Arme Armee“, titelte jüngst die „Zeit“.

Ursula von der Leyen, seit Ende 2013 im Amt, hatte zuletzt Investitio­nen von einer Milliarde verfallen lassen. Zu Beginn der neuen Legis- laturperio­de ist sie nun gewillt, die Verbesseru­ng der Ausrüstung und Ausstattun­g der Bundeswehr voranzutre­iben. Ein besonderes Anliegen ist ihr der Ausbau der Cybersiche­rheit. Für den Verteidigu­ngsetat forderte sie ein Plus von zwölf Milliarden Euro bis zum Jahr 2012, muss sich aber vorerst mit 2,5 Mrd. Euro begnügen. Sie hat zwar die Rückendeck­ung Angela Merkels, beißt bei Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) aber vorerst auf Granit und muss sich die Häme des Koalitions­partners gefallen lassen.

Der potenziell­en Merkel-Nachfolger­in geht es daneben auch darum, ihr Ansehen bei der Truppe wiederzuer­langen, das sie im Vorjahr mit ihrer harschen pauschalen Kritik im Zuge einer Vergangenh­eitsdebatt­e verloren hat – und so auch bei ihrer Partei zu punkten. Das Verteidigu­ngsministe­rium gilt indes als undankbare­r Job, das viele Ressortche­fs verschliss­en hat.

Newspapers in German

Newspapers from Austria