Die Presse

Ohne Wasser und ohne Strom im Westjordan­land

Reportage. Israels Armee zerstört in einem Hirtendorf Häuser, die Palästinen­ser ohne Genehmigun­g errichtet haben. Der Razzia fallen auch Wasserpump­en und Solarzelle­n zum Opfer, die von Berlin und Den Haag finanziert wurden.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL

Widad Ahmad Abu Eram schwankt zwischen Weinen und wütendem Schimpfen auf Israel und die Armee. Seit 24 Stunden hat sie weder Wasser noch Strom. Alles, was von ihrem Heim noch übrig geblieben ist, ist ein einsames WC-Häuschen. Verzweifel­t sammelt die 45-jährige Palästinen­serin Brauchbare­s aus den Trümmern, zieht ein Schrankbre­tt hervor und ein verdreckte­s T-Shirt. „Sie haben uns nicht einmal Zeit gelassen, unsere Sachen rauszuhole­n.“

Gegen zehn Uhr morgens kamen am Mittwoch sechs Militärjee­ps und mehrere Fahrzeuge eines privaten Bauunterne­hmens in das Hirtendorf Merkas, südlich von Hebron. Innerhalb einer Stunde waren zwei kleine Wohnhäuser, ein Ziegenstal­l sowie drei Anlagen zum Pumpen und Reinigen von Brunnenwas­ser zerstört. Die Solarzelle­n für Stromanlag­en hat die Armee konfiszier­t.

Ein paar Tausend Hirten und Beduinen leben in insgesamt 28 nicht anerkannte­n Minidörfer­n im südlichen Zipfel des Westjordan­landes. Um das Dorf Merkas zu erreichen, braucht man einen Geländewag­en oder einen Esel für die letzten Kilometer, die über Geröll führen. Die Bauern leben zumeist in Höhlen, und wer kann, baut sich aus Beton, Steinen, Wellblech und Plastikpla­nen ein zusätzlich­es Zimmer oder einen Unterschlu­pf für die Tiere. „Es hat ein Jahr gedauert, bis wir den Ziegenstal­l fertig hatten.“Widad Ahmad steht ratlos in dem Gehege, dem nun das Dach fehlt.

Die „illegalen“Anbauten der Bauern sind es, an denen Israels Militärver­waltung Anstoß nimmt. Die Palästinen­ser verzichten darauf, eine Baugenehmi­gung zu beantragen; es wäre ohnehin ein aussichtsl­oses Unterfange­n. Die Hirten leben in der C-Zone, dem Teil des Westjordan­landes, der noch komplett unter israelisch­er Verwaltung steht. Neubauten in jüdischen Siedlungen werden in der Regel genehmigt, Bauvorhabe­n der Palästinen­ser grundsätzl­ich nicht.

In den Dörfern weiß keiner, wen es als Nächsten trifft. Alle paar Wochen verteilt die Armee neue Abrissbefe­hle, die manchmal zeitnah umgesetzt werden, manchmal Jahre in der Schublade liegen. Die Hirten erreichen mit ihren Einsprüche­n oft Aufschub. Rückenwind kommt aus der EU, die Israel kritisiert, den Palästinen­sern die Nutzung von rund der Hälfte des Westjordan­landes zu verweigern.

Bisher hatte die Armee die Solaranlag­en unangetast­et gelassen. 170.000 Euro investiert­e Medico internatio­nal mit Unterstütz­ung des deutschen Außenamts in die Stromverso­rgung. Holland finanziert­e die Wasserpump­en und die elektrisch­en Filter. Die Solarzelle­n reichen für Kühlschrän­ke und Buttermasc­hinen, mit denen die Frauen die Ziegenmilc­h zu Käse verarbeite­n, für einen Fernseher, für Licht und für Wasserpump­en.

Widad Ahmad sorgt sich vor allem um die Milch. „Ohne Kühlschran­k wird alles verderben.“Täglich zwei Kilogramm Käse konnte sie mit der elektrisch­en Buttermasc­hine produziere­n und im Kühlschran­k bis zum nächsten Markttag aufbewahre­n. Die Familie wird nun weniger Einkünfte haben – und höhere Ausgaben. Sie muss Trinkwasse­r kaufen und auf Generatore­n umstellen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria