Ohne Wasser und ohne Strom im Westjordanland
Reportage. Israels Armee zerstört in einem Hirtendorf Häuser, die Palästinenser ohne Genehmigung errichtet haben. Der Razzia fallen auch Wasserpumpen und Solarzellen zum Opfer, die von Berlin und Den Haag finanziert wurden.
Widad Ahmad Abu Eram schwankt zwischen Weinen und wütendem Schimpfen auf Israel und die Armee. Seit 24 Stunden hat sie weder Wasser noch Strom. Alles, was von ihrem Heim noch übrig geblieben ist, ist ein einsames WC-Häuschen. Verzweifelt sammelt die 45-jährige Palästinenserin Brauchbares aus den Trümmern, zieht ein Schrankbrett hervor und ein verdrecktes T-Shirt. „Sie haben uns nicht einmal Zeit gelassen, unsere Sachen rauszuholen.“
Gegen zehn Uhr morgens kamen am Mittwoch sechs Militärjeeps und mehrere Fahrzeuge eines privaten Bauunternehmens in das Hirtendorf Merkas, südlich von Hebron. Innerhalb einer Stunde waren zwei kleine Wohnhäuser, ein Ziegenstall sowie drei Anlagen zum Pumpen und Reinigen von Brunnenwasser zerstört. Die Solarzellen für Stromanlagen hat die Armee konfisziert.
Ein paar Tausend Hirten und Beduinen leben in insgesamt 28 nicht anerkannten Minidörfern im südlichen Zipfel des Westjordanlandes. Um das Dorf Merkas zu erreichen, braucht man einen Geländewagen oder einen Esel für die letzten Kilometer, die über Geröll führen. Die Bauern leben zumeist in Höhlen, und wer kann, baut sich aus Beton, Steinen, Wellblech und Plastikplanen ein zusätzliches Zimmer oder einen Unterschlupf für die Tiere. „Es hat ein Jahr gedauert, bis wir den Ziegenstall fertig hatten.“Widad Ahmad steht ratlos in dem Gehege, dem nun das Dach fehlt.
Die „illegalen“Anbauten der Bauern sind es, an denen Israels Militärverwaltung Anstoß nimmt. Die Palästinenser verzichten darauf, eine Baugenehmigung zu beantragen; es wäre ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen. Die Hirten leben in der C-Zone, dem Teil des Westjordanlandes, der noch komplett unter israelischer Verwaltung steht. Neubauten in jüdischen Siedlungen werden in der Regel genehmigt, Bauvorhaben der Palästinenser grundsätzlich nicht.
In den Dörfern weiß keiner, wen es als Nächsten trifft. Alle paar Wochen verteilt die Armee neue Abrissbefehle, die manchmal zeitnah umgesetzt werden, manchmal Jahre in der Schublade liegen. Die Hirten erreichen mit ihren Einsprüchen oft Aufschub. Rückenwind kommt aus der EU, die Israel kritisiert, den Palästinensern die Nutzung von rund der Hälfte des Westjordanlandes zu verweigern.
Bisher hatte die Armee die Solaranlagen unangetastet gelassen. 170.000 Euro investierte Medico international mit Unterstützung des deutschen Außenamts in die Stromversorgung. Holland finanzierte die Wasserpumpen und die elektrischen Filter. Die Solarzellen reichen für Kühlschränke und Buttermaschinen, mit denen die Frauen die Ziegenmilch zu Käse verarbeiten, für einen Fernseher, für Licht und für Wasserpumpen.
Widad Ahmad sorgt sich vor allem um die Milch. „Ohne Kühlschrank wird alles verderben.“Täglich zwei Kilogramm Käse konnte sie mit der elektrischen Buttermaschine produzieren und im Kühlschrank bis zum nächsten Markttag aufbewahren. Die Familie wird nun weniger Einkünfte haben – und höhere Ausgaben. Sie muss Trinkwasser kaufen und auf Generatoren umstellen.