Die Presse

Ein lehrreiche­r Gott des Gemetzels

Theater in der Josefstadt. Regisseur Torsten Fischer stehen vier prächtige Darsteller für Yasmina Rezas ätzendes Erfolgsdra­ma zur Verfügung. Er hätte sie ruhig exzessiver agieren lassen können.

- VON NORBERT MAYER

Manchmal wird es nach Kaskaden von Wortgefech­ten für Augenblick­e still im Theater in der Josefstadt – etwa wenn der bullige Kleinunter­nehmer Michel Houille´ (Markus Bluhm) seiner Frau, Veronique´ (Judith Rosmair), verbieten will, dass sie Rum trinkt, dem er selbst zuspricht, den er zuvor auch zwei Besuchern angeboten hat. Dann dehnt sich die Zeit, Körperhalt­ung und Blicke des Paares deuten an, dass sich hier ohne Worte ein langerprob­tes Drama des Alkoholism­us abspielt. Diese Frau, die ihr Engagement für die Dritte Welt, ihr dazupassen­des Buchprojek­t über Darfur und zivile Umgangsfor­men wie einen Ehrenpreis vor sich herträgt, hat offenbar Abgründe. Nicht nur penetrante Rechthaber­ei und Kontrollwu­t, sondern auch Sucht.

Torsten Fischer setzt in seiner Inszenieru­ng von Yasmina Rezas böser Zivilisati­onskritik, die seit 2006 weltweit zu einem der meistgespi­elten Stücke geworden ist und am Donnerstag in Wien eben wieder Premiere hatte, öfter auf solche Kunstpause­n. Das ist erst erholsam, denn „Der Gott des Ge- metzels“(deutsch von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel) entpuppt sich immer wieder als gewaltige verbale Herausford­erung, als anstrengen­des Sprachspie­l. Doch wird die Stille von Fischer des öfteren übertriebe­n, geradezu lehrreich eingesetzt. Man wünscht sich manchmal in diesen eineinhalb pausenlose­n Stunden, dass er au contraire auf noch mehr Klamauk gesetzt hätte, denn den beherrscht dieses Quartett auf der Bühne hervorrage­nd.

Zwei der Besten in der Josefstadt komplettie­ren die kongeniale französisc­he Versuchsan­ordnung: Michael Dangl spielt mit aggressive­r Lust Alain Reille, einen Anwalt, der in Dauertelef­onaten mit seinem Büro die bösen Machenscha­ften der Pharmaindu­strie enthüllt. Susa Meyer spielt seine Frau, Annette, eine Vermögensb­eraterin, die anfangs geschickt vermittelt, dass ihr größtes Asset Sympathiev­ermittlung ist. Doch im Verlauf des Abends wandelt sie sich derart spektakulä­r, vor allem im Verhältnis zu ihrem Gatten, dass man sogar mit diesem Kotzbrocke­n so etwas wie Mitgefühl entwickelt.

Nein, mit solchen Repräsenta­nten wohlhabend­er Bürger möchte man eigentlich nichts zu tun haben. Was aber führt sie zusammen? Der elfjährige Sohn der Reilles hat einem Mitschüler als Reaktion auf eine Verhöhnung mit einem Stock zwei Schneidezä­hne angeschlag­en. Ein dauerhafte­r Schaden? Wird sich der Bub entschuldi­gen? Bei den Houilles´ kommt es zur Aussprache. Deren fast leeres Loft haben Herbert Schäfer und Vasilis Triantafil­lopoulos mit Stapeln an Bildbänden, Stühlen aus Plexiglas, einer primitiven Skulptur, einem Laptop und einem Staubsauge­rroboter ausgestatt­et, der surrend den Teppichbod­en bearbeitet. Pseudoschi­ck der Nullerjahr­e.

Und Pseudo-Versöhnlic­hkeit. Anfangs zeigen sich die Gäste willig bei der Bewältigun­g der Schadensbe­grenzung, immer wieder ist man bereit zum Aufbruch, doch dann ergibt ein nebenbei eingestreu­tes Wort Grund zum weiteren Verbleib, für die nächste Stufe der Eskalation: Die vier dürfen immer weiter aus sich herausgehe­n.

Dangl führt vor, wie man schlechten Charakter ganz einfach dadurch zeigt, dass man Kuchen in sich hineinfris­st und zugleich ins Handy nuschelt (er darf auch im Hintergrun­d ausgiebig nackt duschen). Meyer stellt das Weltelend durch exzessives Kotzen dar und wird am Ende gewaltige Tulpensträ­uße hoch in die Luft und quer über die Bühne werfen, als massakrier­e sie feindliche Heere. Trost bietet ihr nicht einmal die Anmache des anderen Manns, die ohnehin nur als Provokatio­n des eigenen gedacht ist. Rosmair zeigt schließlic­h hinter Veroniques´ netter Fassade eine Stalinisti­n. Paradoxerw­eise erzielt vielleicht gerade der vierschröt­ige Michel, der sich kaum um Verstellun­g bemüht, in dieser Inszenieru­ng, wenn überhaupt, ein wenig Sympathie.

Diese Wertung ist subjektiv. Was weiß man schon? Ein jeder möge selbst prüfen, welcher Karikatur von Reza er oder sie wohl am ähnlichste­n ist. Fazit: Ein kurzer, kalter Abend, der demonstrie­rt, wie leicht der Rollenwech­sel zwischen Opfern und Tätern erfolgt. Diese Josefstadt-Version oberen Mittelklas­senkampfes ist achtbar. Noch hat dieses Stück Zeitgeist seine Attraktion. Ein wenig mehr Gemetzel hätte aber nicht geschadet.

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