Bekenntnis einer Idiotin: Hirnloser Linksruck im Alter? Bestimmt nicht
Warum jetzt zunehmend als „links“diffamiert wird, was eigentlich nur Anstand, Sorge um die demokratische Entwicklung und Ehrlichkeit in der Politik gebieten.
Das Zitat hat so viele Väter, dass man schon von einer Rudel-Urheberschaft schreiben könnte. Die Politiker George Clemenceau und Winston Churchill sollen es erfunden haben, der italienische Philosoph Benedetto Croce auch, die Schriftsteller George Bernhard Shaw und Theodor Fontane detto: „Wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz, wer es im Alter noch immer ist, hat kein Hirn.“
In der Vulgärvariante heißt es dann: Wer in der Jugend nicht links und im Alter nicht rechts ist, ist ein Idiot. Gendergerecht muss ich daher bekennen: Ich bin eine Idiotin. Das kann ich beweisen.
Als Studentin mitten in der 68er-Bewegung ging diese an mir spurlos vorbei. Und dies, obwohl damals im Zentrum der Revolution, oder was immer Silvio Lehmann, Marina FischerKowalski u. a. dafür gehalten haben, inskribiert. Das Linke hat mich einfach nicht interessiert. Die lebhafteste Erinnerung ist jene an einen Kaffee im Landtmann, während die linksbewegten Studenten neben mir auf dem Wiener Ring vorbeizogen und brüllten: „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren.“Dass ich mir das überhaupt anhörte, empfand ich schon als ausreichenden persönlichen Linksruck.
Auch ein paar Jahre später habe ich mich mit meiner Hartherzigkeit nicht auseinandergesetzt. Daran ist vielleicht Bruno Kreisky schuld, dessen Abwehrsatz gegen den Druck von links in der SPÖ – „Solange ich in Österreich regiere, wird rechts regiert“– mir sehr gefallen hat, auch wenn er so nie gefallen sein sollte.
Mit dem Vorwurf, in jungen Jahren herzlos, weil zu rechts, gewesen zu sein, kann ich leben. Mit den Angriffen, jetzt im Alter hirnlos, weil zu links, zu sein, weniger. Sie sind voll daneben.
Denn was, bitte, ist links an der Klage über einen Mangel an Empathie in ÖVP und FPÖ? Ist Christian Konrad, einst mächtiger Raiffeisen-Boss und empathischer Flüchtlingskoordinator, links, weil er mit einer Zivilgesellschaftinitiative genau diesen Mangel ausgleichen will?
Was ist links am Entsetzen über den niederösterreichischen FPÖ–Landesrat Gottfried Waldhäusl, der den Aufenthalt von Asylwerbern in Österreich mit einem „Saustall“gleichgesetzt, den er „aufräumt“und Menschen als „Altlasten“bezeichnet, die „beseitigt“gehören?
Was ist links an der Forderung, die niederösterreichische Landeshauptfrau, Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), hätte dem blauen Regierungsmitglied in die Parade fahren müssen und dürfe nicht dazu schweigen? Was ist links an der Auffassung, dass jemand als Landesrat untragbar ist, der in einem Interview im Zusammenhang mit Flüchtlingen den Satz „Jedes Rindvieh, Schwein oder Lamm wird bei uns gezählt – aber nicht, wie viele Menschen ins Land kommen“von sich gibt?
Warum ist es links, wenn man die komplette Streichung der Förderung einer Organisation, die Frauen als Opfern von Gewalt hilft, für unsozial hält – wie in Oberösterreich geschehen? Oder das Einstellen eines Projekts, das Arbeitslosen Hoffnung und älteren Menschen Mobilität gibt – ebenfalls geschehen in Oberösterreich?
Mehr noch: Warum ist es links, sich zunehmend Sorge um unsere Demokratie zu machen? Welche Einstellung oder welche Akzeptanz der illiberalen Demokratie muss in jenen Kreisen vorherrschen, die Achtsamkeit und Pflege der demokratischen Institutionen als „links“abwerten wollen? Denn diese Zuschreibung ist von denen, die sie als Gegenargument zu ihrer eigenen Position vornehmen, immer verächtlich gemeint.
Wir sind zurzeit in einer Situation, in der jede kritische Auseinandersetzung mit Entscheidungen der Regierung automatisch als Unterstützung der „Linken“und/oder der SPÖ (ab)qualifiziert wird. Warum? Das eine nicht gut zu finden, heißt noch lang nicht, das andere zu bejubeln. Diesen Automatismus in der österreichischen Innenpolitik verstehe ich nicht. Aber nachdem offenbar im Alter „hirnlos“, weil nicht rechts, kann man das von mir auch nicht verlangen.