Sonnencreme nach dem Vorbild der Natur
Chemie. Grazer Forscher imitieren in ihren Labors Bausteine und Prozesse aus der Umwelt. Die Erkenntnisse lassen sich nutzen, um Schmerzmittel oder Kosmetika ökologisch herzustellen: darunter Substanzen zum Schutz vor UV-Licht.
Eigentlich ist alles schon da. „Es ist faszinierend, welche Reaktionen in der Natur ablaufen, mit welcher Präzision die verschiedenen, dreidimensional angeordneten Teile zusammenspielen“, erklärt Wolfgang Kroutil. Den Chemiker interessieren insbesondere Proteine aus der Natur, die als Biokatalysatoren ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen. Mit diesen Enzymen als Werkzeugen hat er schon vieles ausprobiert: Er hat beispielsweise im Labor Pinienaroma nachgebaut, das den Rüsselkäfer, einen gefürchteten Baumschädling, auf natürliche Weise vertreibt. Mithilfe gleich sechs verschiedener Enzyme produzierte er auf umweltfreundliche Weise einen Grundbaustein von Nylon. Und in einem Baumpilz fand er ein Enzym, mit dem sich Anisaroma für Weihnachtsbäckerei herstellen lässt.
Sein neuester Coup für den Sommer: Er imitierte die unter Fachleuten sehr bekannte, 1873 beschriebene Friedel-Crafts-Acylierung (siehe Lexikon). Damit sollen sich Schmerzmittel oder Kosmetika nun ganz ohne gesundheits- und umweltschädliche Chemikalien fabrizieren lassen – etwa auch der Bestandteil der Sonnencreme, der gegen kurzwellige Lichtteilchen und damit gegen eine Rötung der Haut schützt. Wie der von natürlich vorkommenden Bakterien abgeschaute Prozess am besten funktioniert, beschreibt Kroutil in der kürzlich veröffentlichten Ausgabe des Fachmagazins „Applied Microbiology and Biotechnology“.
Berühmt, aber gefährlich
Er forscht dafür nicht nur an der Grazer Uni, sondern auch am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (Acib). Das von Wissenschafts- und Technologieministerium geförderte Kompetenzzentrum ist auf industrielle Biotechno- logie spezialisiert. In den dort angesiedelten Projekten geht es darum, möglichst einfache, umweltfreundliche Prozesse zu entwickeln, die die Industrie irgendwann übernimmt. Die Reaktionen funktionieren bei Zimmertemperatur und normalem Luftdruck und hinterlassen keinen Mensch und Umwelt gefährdenden, schwierig zu entsorgenden Müll – wie eben die breit anwendbare Friedel-Crafts-Acylierung.
Sie braucht hohe Temperaturen, also viel Energie. Außerdem bilden die verwendeten Säurechloride ätzende Salzsäure, wenn sie nass werden. Auf der anderen Seite lässt sich die Reaktion aber gezielt und zugleich flexibel gestalten und ist daher zu einem unverzichtbaren Werkzeug der organischen Chemie geworden. Es sollte exakt 140 Jahre dauern, bis nun die Grazer Forscher um Kroutil kamen und eine neue Lösung fanden, die diese ersetzen könnte. „Wir haben in der Literatur einen Biokatalysa- tor entdeckt, der eine ähnliche Reaktion auslöst“, erzählt der Forscher. Mit etwas Fantasie habe man die genutzten Chemikalien dann verändert – und vieles im Labor ausprobiert.
Ein erster Durchbruch gelang schließlich seiner Dissertantin Nina Schmidt mit drei verschiedenen Stämmen stäbchenförmiger Pseudomonas- Bakterien. Kroutil bezeichnet sie als „Wald- und Wiesenbakterien“: „Sie kommen praktisch überall vor: im Boden, im Wasser und auch, wenn Sie über den Schreibtisch wischen.“Über die Jahre seien alle möglichen Reagenzien für die Reaktion eingesetzt worden, aber nie biologische. Dass ausgerechnet ein Enzym, ein Biokatalysator, die Reaktion in Gang setzen würde, sei völlig neu gewesen. Das Fachmagazin „Angewandte Chemie“honorierte die Entdeckung der Grazer im Vorjahr, indem sie die Ergebnisse als „Hot Paper“publizierte.
Struktur noch besser verstehen
Allerdings erwiesen sich die Wildtypbakterien im Labor dann doch als weniger effizient als ein bewährter, ebenfalls natürlicher Modellorganismus: Die Forscher nutzten schließlich für Mensch und Umwelt unbedenkliche Stämme von E. coli. Mit diesen habe sich das benötigte Enzym besser in ausreichenden Mengen produzieren lassen, so Kroutil. Etwas Kopfzerbrechen habe zunächst dessen dreiteiliger Aufbau bereitet, schließlich habe aber alles geklappt.
„Wir haben jetzt eine 3-D-Vorstellung, wie der hergestellte Biokatalysator aussieht“, so Kroutil. Nun gelte es, seine Funktionsweise und Struktur noch besser zu verstehen. Daran arbeitet etwa auch die Polin Anna Z˙c˛dło mit einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Lise-Meitner-Stipendium. Denn als nächsten Schritt muss das Enzym industrietauglich werden, gefragt seien etwa größere Moleküle, erläutert Kroutil.
Ob Firmen Interesse an der von der Natur abgeschauten Entwicklung haben, dürfte sich nach weiterer Entwicklungsarbeit in rund fünf Jahren zeigen.