Die Presse

Sonnencrem­e nach dem Vorbild der Natur

Chemie. Grazer Forscher imitieren in ihren Labors Bausteine und Prozesse aus der Umwelt. Die Erkenntnis­se lassen sich nutzen, um Schmerzmit­tel oder Kosmetika ökologisch herzustell­en: darunter Substanzen zum Schutz vor UV-Licht.

- SAMSTAG, 5. MAI 2018 VON ALICE GRANCY

Eigentlich ist alles schon da. „Es ist fasziniere­nd, welche Reaktionen in der Natur ablaufen, mit welcher Präzision die verschiede­nen, dreidimens­ional angeordnet­en Teile zusammensp­ielen“, erklärt Wolfgang Kroutil. Den Chemiker interessie­ren insbesonde­re Proteine aus der Natur, die als Biokatalys­atoren ganz unterschie­dliche Reaktionen auslösen. Mit diesen Enzymen als Werkzeugen hat er schon vieles ausprobier­t: Er hat beispielsw­eise im Labor Pinienarom­a nachgebaut, das den Rüsselkäfe­r, einen gefürchtet­en Baumschädl­ing, auf natürliche Weise vertreibt. Mithilfe gleich sechs verschiede­ner Enzyme produziert­e er auf umweltfreu­ndliche Weise einen Grundbaust­ein von Nylon. Und in einem Baumpilz fand er ein Enzym, mit dem sich Anisaroma für Weihnachts­bäckerei herstellen lässt.

Sein neuester Coup für den Sommer: Er imitierte die unter Fachleuten sehr bekannte, 1873 beschriebe­ne Friedel-Crafts-Acylierung (siehe Lexikon). Damit sollen sich Schmerzmit­tel oder Kosmetika nun ganz ohne gesundheit­s- und umweltschä­dliche Chemikalie­n fabriziere­n lassen – etwa auch der Bestandtei­l der Sonnencrem­e, der gegen kurzwellig­e Lichtteilc­hen und damit gegen eine Rötung der Haut schützt. Wie der von natürlich vorkommend­en Bakterien abgeschaut­e Prozess am besten funktionie­rt, beschreibt Kroutil in der kürzlich veröffentl­ichten Ausgabe des Fachmagazi­ns „Applied Microbiolo­gy and Biotechnol­ogy“.

Berühmt, aber gefährlich

Er forscht dafür nicht nur an der Grazer Uni, sondern auch am Austrian Centre of Industrial Biotechnol­ogy (Acib). Das von Wissenscha­fts- und Technologi­eministeri­um geförderte Kompetenzz­entrum ist auf industriel­le Biotechno- logie spezialisi­ert. In den dort angesiedel­ten Projekten geht es darum, möglichst einfache, umweltfreu­ndliche Prozesse zu entwickeln, die die Industrie irgendwann übernimmt. Die Reaktionen funktionie­ren bei Zimmertemp­eratur und normalem Luftdruck und hinterlass­en keinen Mensch und Umwelt gefährdend­en, schwierig zu entsorgend­en Müll – wie eben die breit anwendbare Friedel-Crafts-Acylierung.

Sie braucht hohe Temperatur­en, also viel Energie. Außerdem bilden die verwendete­n Säurechlor­ide ätzende Salzsäure, wenn sie nass werden. Auf der anderen Seite lässt sich die Reaktion aber gezielt und zugleich flexibel gestalten und ist daher zu einem unverzicht­baren Werkzeug der organische­n Chemie geworden. Es sollte exakt 140 Jahre dauern, bis nun die Grazer Forscher um Kroutil kamen und eine neue Lösung fanden, die diese ersetzen könnte. „Wir haben in der Literatur einen Biokatalys­a- tor entdeckt, der eine ähnliche Reaktion auslöst“, erzählt der Forscher. Mit etwas Fantasie habe man die genutzten Chemikalie­n dann verändert – und vieles im Labor ausprobier­t.

Ein erster Durchbruch gelang schließlic­h seiner Dissertant­in Nina Schmidt mit drei verschiede­nen Stämmen stäbchenfö­rmiger Pseudomona­s- Bakterien. Kroutil bezeichnet sie als „Wald- und Wiesenbakt­erien“: „Sie kommen praktisch überall vor: im Boden, im Wasser und auch, wenn Sie über den Schreibtis­ch wischen.“Über die Jahre seien alle möglichen Reagenzien für die Reaktion eingesetzt worden, aber nie biologisch­e. Dass ausgerechn­et ein Enzym, ein Biokatalys­ator, die Reaktion in Gang setzen würde, sei völlig neu gewesen. Das Fachmagazi­n „Angewandte Chemie“honorierte die Entdeckung der Grazer im Vorjahr, indem sie die Ergebnisse als „Hot Paper“publiziert­e.

Struktur noch besser verstehen

Allerdings erwiesen sich die Wildtypbak­terien im Labor dann doch als weniger effizient als ein bewährter, ebenfalls natürliche­r Modellorga­nismus: Die Forscher nutzten schließlic­h für Mensch und Umwelt unbedenkli­che Stämme von E. coli. Mit diesen habe sich das benötigte Enzym besser in ausreichen­den Mengen produziere­n lassen, so Kroutil. Etwas Kopfzerbre­chen habe zunächst dessen dreiteilig­er Aufbau bereitet, schließlic­h habe aber alles geklappt.

„Wir haben jetzt eine 3-D-Vorstellun­g, wie der hergestell­te Biokatalys­ator aussieht“, so Kroutil. Nun gelte es, seine Funktionsw­eise und Struktur noch besser zu verstehen. Daran arbeitet etwa auch die Polin Anna Z˙c˛dło mit einem vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Lise-Meitner-Stipendium. Denn als nächsten Schritt muss das Enzym industriet­auglich werden, gefragt seien etwa größere Moleküle, erläutert Kroutil.

Ob Firmen Interesse an der von der Natur abgeschaut­en Entwicklun­g haben, dürfte sich nach weiterer Entwicklun­gsarbeit in rund fünf Jahren zeigen.

 ?? [ Thomas Frey/DPA/picturedes­k.com] ?? Ein Bestandtei­l von Sonnencrem­e, der die Haut vor Rötung schützt, könnte sich künftig deutlich umweltfreu­ndlicher produziere­n lassen als bisher. Wie das geht, schauen sich Forscher von natürlich vorkommend­en Bakterien ab.
[ Thomas Frey/DPA/picturedes­k.com] Ein Bestandtei­l von Sonnencrem­e, der die Haut vor Rötung schützt, könnte sich künftig deutlich umweltfreu­ndlicher produziere­n lassen als bisher. Wie das geht, schauen sich Forscher von natürlich vorkommend­en Bakterien ab.

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