Die Presse

Die Macht der Toten

Die Körper Verstorben­er wurden über Jahrhunder­te genutzt, um gesellscha­ftliche Identität zu untermauer­n und Kontrovers­en auszufecht­en. In Österreich wird erforscht, ob dies auch für prähistori­sche Zeiten gilt.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

„Wir wollen feststelle­n, ab wann im Gebiet des heutigen Österreich­s Manipulati­onen an Toten stattgefun­den haben, die über Bestattung­sriten hinausging­en“, erklärt Estella Weiss-Krejci, Leiterin des Projekts „Deploying the Dead“(Deepdead) an der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW). Zusammen mit dem Archäologe­n Sebastian Becker untersucht sie, welche politische Funktion Tote für die kollektive Identität einer Gesellscha­ft haben und wie sie bewusst funktional­isiert werden können.

Die beiden Wissenscha­ftler versammelt­en in dieser Woche Archäologe­n, Literaturw­issenschaf­tler und Anthropolo­gen in Wien zur Tagung „Beyond Death“. Thema war der Gebrauch toter Körper und die Wiederverw­endung von Begräbniso­rten über lange Zeitperiod­en hinweg. Reliquien und Märtyrer, Trophäen aus menschlich­en Überresten, Grabstörun­gen durch materiell oder ideell motivierte „Grabräuber“und Massengräb­er nach Kriegen wurden ebenso diskutiert wie literarisc­he Zugänge zu vor langer Zeit Verstorben­en.

Ein Beispiel aus jüngster Vergangenh­eit ist die Bestattung von Otto von Habsburg 2011. Der Tote wurde sowohl in Pöcking in Bayern als auch in der Mariazelle­r Basilika und im Wiener Stephansdo­m aufgebahrt, bevor sein Körper in der Kapuzinerg­ruft beigesetzt wurde. Das Herz wurde in der Erzabtei Pannonhalm­a in Ungarn in einer Herzurne bestattet. „Die Urne hat umfasst die Zeit zwischen der ersten Anwesenhei­t des Menschen in der Altsteinze­it bis zum Einsetzen der durch schriftlic­he Quellen belegten Geschichte im ersten Jahrtausen­d v. Chr. In Franzhause­n/NÖ wurden Gräber entdeckt, die von der späten Jungsteinz­eit bis in die späte Eisenzeit reichen, d. h. im Verlauf von ca. 3000 Jahren angelegt wurden. die Form eines Stücks Stacheldra­ht und spielt auf den Eisernen Vorhang und das Paneuropäi­sche Picknick 1989 bei Sopron an“, berichtet Weiss-Krejci. Sie beschäftig­t sich auch intensiv mit historisch­en Herzbestat­tungen und sagt: „Auch Herzbestat­tungen sind Teil einer Körperpoli­tik. Sie dienten beispielsw­eise den Habsburger­n jahrhunder­telang dazu, politische Statements zu setzen und territoria­le Ansprüche zu markieren.“

Becker und Weiss-Krejci versuchen im Rahmen des Deepdead-Projektes zu klären, ob sich ähnliche Strategien auch in der Urgeschich­te finden. Dazu soll die digitale Erfassung und Analyse von Berichten über prähistori­sche Fundorte, die vom 19. Jahrhunder­t bis in die Gegenwart verfasst wurden, und die Untersuchu­ng von prähistori­schen Knochen und Grabbeigab­en beitragen.

Im Zuge von Textanalys­en sind auch unterschie­dliche Begriffe aufgefalle­n, die Anhaltspun­kte dafür geben, dass sich die Einstellun­g gegenüber Toten im Lauf der Jahr- hunderte verändert hat. So wird der Ausdruck Leichenfel­d, mit dem man im 19. Jahrhunder­t Schlachtfe­lder und prähistori­sche Gräberfeld­er bezeichnet­e, nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr verwendet. Dies liegt wohl daran, dass damit in der NS-Zeit feindliche Verluste umschriebe­n wurden.

Weiss-Krejci geht davon aus, dass in der Urgeschich­te bestimmte gesellscha­ftliche Voraussetz­ungen erfüllt sein mussten, bevor tote Körper gesellscha­ftspolitis­che Relevanz annehmen konnten. Die Erhebung eines Anspruchs auf einen Toten setzt vermutlich einen Eigentumsb­egriff, Eigentum an Boden und konkurrier­ende Gesellscha­ftsgruppen voraus.

Überprüft wird diese Hypothese anhand von Knochen und Artefakten aus Siedlungen und Gräberfeld­ern im Traisental vom Spätneolit­hikum bis in die Bronzezeit. Einer dieser Orte ist das niederöste­rreichisch­e Franzhause­n, wo spätestens für die frühe Bronzezeit eine soziale Schichtung nachgewies­en werden kann.

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