Was bringen Palmölzertifikate wirklich?
Trotz der verheerenden Folgen für Umwelt und Bevölkerung expandiert die Palmölproduktion. In einer neuen Studie hat Alina Brad von der Uni Wien gezeigt, dass Zertifikate nur wenig ausrichten können.
Zum ersten Mal begegnete Alina Brad vor über zehn Jahren dem Thema Palmöl. Damals forschte die Politikwissenschaftlerin für ihre Diplomarbeit auf einer Insel vor Sumatra und wollte wissen, welche Möglichkeiten die Menschen dort anstrebten, um ihre Lebensgrundlage zu verbessern. Man wolle Torfböden trockenlegen, um Palmöl anzubauen, bekam sie zu hören. Die Nachfrage danach sei größer als nach dem bis dahin produzierten Kautschuk und die Gewinnung weniger mühsam. Auf der Weiterreise staunte sie beim Blick aus dem Flugzeug: Monokulturen, so weit das Auge reichte. Kein Ende in Sicht.
„Diese Verflechtung zwischen den Hoffnungen der Dorfbewohner, den Profitinteressen der Industrie und dem globalen Konsum fand ich bemerkenswert“, erzählt Brad. „Und ich habe mich gefragt, zu welchen Konflikten das führt.“Etwa die Schieflage, „dass die lokale Bevölkerung die ökologischen und sozialen Folgen trägt, während wir hier ahnungslos unsere Chips essen“. Zu jener Zeit war die Palmölproblematik in Österreich noch relativ unsichtbar.
Dem ist nicht mehr so. Kampagnen, etwa von Greenpeace, haben aus uns aufmerksamere Konsumenten gemacht. Jeder, der es wissen will, hat schon von der großflächigen Abholzung des Regenwaldes, Landraub und der Zerstörung der Artenvielfalt in den Anbauländern gehört. Mit den Wäldern gingen wertvolle CO -Speicher verloren. Und 25 Prozent der Plantagen sind auf Torfböden angelegt. Legt man diese für den Anbau trocken, wird enorm viel CO freigesetzt.
Brad ist mittlerweile Expertin für die sozialökologischen Auswirkungen der Palmölindustrie. Vor zwei Jahren hat sie ihre Dissertation dazu abgeschlossen. Sie ist Universitätsassistentin am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien. Ihr Detailwissen sowie das Renommee des Instituts mit seinem Schwerpunkt in Umwelt- und Ressourcenpolitik hat die niederländische NGO Changing Markets veranlasst, sie mit einer Arbeit zu Zertifikatssystemen für Palmöl zu beauftragen. Diese ist Teil der Studie „The False Promise of Certification“, die vergangenen Donnerstag erschienen ist und neben Palmöl auch Fischerei und Baumwolle behandelt.
Während in Asien die Forderung nach nachhaltiger Produktion marginal ist, hat der öffentliche Druck auf Unternehmen und Politik in westlichen Ländern durchaus Auswirkungen gezeigt. Man sucht
werden jährlich auf der Welt verbraucht. Das sind 30 Prozent des globalen Pflanzenölverbrauchs. In der EU wurde 2016 mit 6,5 Megatonnen Palmöl zehnmal so viel wie 1980 verbraucht.
des Palmöls landen in der Treibstoffproduktion. Es ist derzeit in einem Drittel des in der EU verbrannten Agrodiesels enthalten. Lösungen. Supermärkte beginnen, den Palmölanteil in ihren Eigenmarken und Biolinien zu vermindern oder diese sogar ganz palmölfrei zu machen. Keine kleine Aufgabe, bedenkt man, dass rund die Hälfte aller Waren in einem durchschnittlichen Supermarkt Palmöl enthalten. Oben erwähnte Chips finden sich auf einer langen Liste von Nahrungs- und Reinigungsmitteln bis hin zu Kosmetika und Agrartreibstoffen. Und immer öfter hört man den Stehsatz, man verwende ja zertifiziertes Palmöl.
Wer und was hinter diesen Zertifikaten steckt und was sie bewirken, hat Brad nun untersucht. Der erste Haken: „Es sind generell Minimalstandards.“Der zweite: „Sogar die größte Zertifizierungsstelle, Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO), deckt nur 19 Prozent des weltweit produzierten Palmöls ab.“Und drittens: „Unterschiedliche Systeme führen zu Verwässerungen der Kriterien und Unübersichtlichkeit.“Keines der sechs analysierten Zertifikate habe die gravierenden Umweltfolgen wirksam verlangsamen können. „Einige Regelungen wurden sogar als Deckmantel für nicht nachhaltige Praktiken verwendet.“
In den 1960er-Jahren wurde das „grüne Gold“von den Regierungen der Hauptanbauländer Indonesien und Malaysia als Chance gesehen, der Bevölkerung ein Einkommen zu verschaffen. „Die Besitzverhältnisse waren damals anders“, erklärt Brad. „In Indonesien etwa wurden 80 Prozent der konzessionierten Flächen von Kleinbauern bewirtschaftet und 20 Prozent von staatlichen Unternehmen. Nach dem Sturz der SuhartoDiktatur und der Marktliberalisierung drehte sich das in den 1990er-Jahren komplett um.“
Heute dominieren private Firmen. Hoffnungen auf ein besseres Leben wie jene der einst von Brad befragten Dorfbewohner münden für die meisten in eine bittere Realität. Vertriebene Bäuerinnen und Bauern landen im Dienst von Unternehmen, wo sie als sogenanntes Plantagenproletariat unter miserablen Bedingungen arbeiten. Darüber hinaus dehnten sich die Produktionsflächen ab den 2000er- Jahren explosionsartig aus.
Als im Westen der Ruf nach Zertifizierungen für soziale und ökologische Nachhaltigkeit ertönte, gründete der WWF mit großen Industriekonzernen den RSPO. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. „Dieses Zertifikat verbietet zwar neuerliche Rodung, erlaubt aber das Trockenlegen von Torfland“, kritisiert Brad. „Noch schlechtere Standards hat Indonesiens eigenes Zertifizierungsverfahren, ISPO.“Hier seien keine NGOs mehr beteiligt und die ohnehin nicht idealen RSPO-Kriterien stark abgeschwächt. Dasselbe beim Zertifizierungssystem Malaysias (MSPO). Weiters untersuchte Brad das SAN-Label der Rainforest Alliance, Roundtable for Sustaina- ble Biomaterials (RSB) und die International Sustainability and Carbon Certification (ISCC).
Blicken die Konsumenten da noch durch? „Man kann die Verantwortung nicht auf sie abwälzen“, findet Brad. „Manches, wie Kosmetika, wird ja gar nicht gekennzeichnet.“Die Kriterien würden nicht einmal in der gesamten Lieferkette umgesetzt. Außerdem könnten sich Unternehmen ähnlich wie beim Emissionshandel einfach auf Handelsplattformen Nachhaltigkeitszertifikate kaufen. Brads Fazit: „Ohne strenge Reformen wird es nicht gehen.“
Leider krähe auf dem asiatischen Markt kein Hahn nach Zertifikaten: „Auch China und Indien sind wichtige Importeure.“Die Labels täuschten zudem über das Kernproblem hinweg: die ungebremste Expansion der Anbauflächen. Auch in Afrika werde bereits Land für den Palmölanbau aufgekauft.