„Unser Modell ist das des Umwegs“
Die Christian-Doppler-Gesellschaft fördert seit rund 25 Jahren „anwendungsorientierte Grundlagenforschung“. Ihr Präsident, Reinhart Kögerler, erklärt, was das heißt und wie Wissenschaft und Wirtschaft von der Annäherung profitieren.
Die Presse: Sie haben diese Woche die 200. Forschungseinheit, in der Grundlagenforscher mit Unternehmen kooperieren, eröffnet. Wie gelingt es, zwei so unterschiedliche Welten zusammenzuführen? Reinhart Kögerler: Damit befassen wir uns seit fast 25 Jahren. Zentrale Fragen dabei waren: Gibt es in modernen Gesellschaften heute noch eine sinnvolle Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung? Und: Gibt es eine Art der Forschung, die kognitive Ziele und die Ziele des Nutzenstiftens kombiniert? Wir haben mit den Christian-Doppler-(CD-)Labors den Beweis geliefert, dass eine solche Kombination möglich ist. Und wir glauben, dass es diese Art der Forschung in einem hoch industrialisierten Land besonders braucht. Wir nennen sie Anwendungsorientierte Grundlagenforschung.
Wie funktioniert das, ohne wissenschaftliche Standards aufzuweichen? Manche fürchten: Man geht dabei nicht sehr in die Tiefe, ist mit pragmatischen Ad-hoc-Lösungen zufrieden und hat letztlich das eigentliche Ziel von Forschung, das Verstehen der Welt, verraten. Daher muss die Forschung erstens langfristig sein, CD-Labors laufen sieben Jahre. 30 Prozent Forschungsfreiraum ist finanziell und zeitlich zugesichert. Zweitens verankern wir die Forschung an Universitäten. Diese Art der Forschung muss immer an die vorderste Front der Wissenschaft drängen, damit die Firmen das beste Wissen gewinnen. Es reicht nicht, Forschung als State of the Art zu betreiben. Dafür haben wir eine scharfe Qualitätskontrolle.
Dazu kommen noch die Kriterien der Unternehmen . . . Ja, etwa Kosteneffizienz. Die Unternehmen fragen: „Brauche ich diese Maschine?“„Könnte man nicht eine im Unternehmen nutzen?“Sie bestimmen die prakti- schen Fragen und die strategische Ausrichtung. Das Wunderbare ist: Unternehmen aus dem LowtechBereich können so zu HightechUnternehmen werden.
Ein Beispiel? Das beste ist die Voestalpine. Sie war Ende der 1980er-Jahre ein Unternehmen, das Konkurrenten der chinesischen Hinterhofhochöfen fürchten mussten. Jetzt ist sie ein Hightech-Unternehmen, das sehr viel entwickelt hat, auch auf Basis der Grundlagenforschung in unseren CD-Labors: Sie war bisher in mehr als 40 CD-Labors aktiv. Es wurden erstmals Hochöfen mit mathematischen Modellen simuliert, dann wurde daran gedreht: Wie lassen sich Abgase reduzieren? Das war damals ein großes Problem. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Verarbeitung von Stahl zu Hochleistungsmaterialien.
Sie haben sich einmal selbst als professionellen Killer bezeichnet, weil ein CD-Labor nach sieben Jahren unabwendbar endet. Was passiert mit dem Wissen, wenn es ausläuft? Der Laborleiter kann auf dem Wis- sen aufbauend weiterforschen, ein CD-Labor ist üblicherweise ein sehr starker Treiber seiner wissenschaftlichen Karriere. Viele Mitarbeiter wechseln in die Industrie. Und die Firma? Sie hat ihre Augen und ihr Hirn geöffnet und gesehen, wie viel Nutzen Grundlagenforschung bringen kann. Unser Modell ist das des Umwegs: Wenn du eine wirtschaftliche Frage hast, geh diese nicht direkt und ausschließlich an, sondern erforsche die Grundlagen breit. Da hast du a` la longue mehr davon. Wer da draufgekommen ist, will meist ein weiteres CD-Labor. Aber da sind wir streng. Es braucht einen neuen
(75) ist seit der Gründung der Christian-DopplerForschungsgesellschaft (CDG) 1995 deren Präsident. Der Niederösterreicher studierte Physik, Mathematik und Philosophie an der Uni Wien, arbeitete drei Jahre lang am Kernforschungszentrum Cern und war Professor für Theoretische Physik an der Uni Bielefeld. Von 1992 bis 1999 leitete er die Sektion Technik und Innovation im Wirtschaftsministerium. Danach ging er bis zur Laborleiter und eine thematische Variation.
Die Initiative zur Gründung geht bisher eher von den Wissenschaftlern aus. Fehlt die Bekanntheit in der Wirtschaft? Ja. Wir setzen daher Unternehmensbotschafter ein, die anderen Firmen von ihren Erfahrungen erzählen. Die Unternehmen wissen oft nicht um den Wert der Grundlagenforschung. Die Ängste liegen immer beim Finanziellen.
Von 45 in einer kürzlich veröffentlichten Evaluierung betrachteten CD-Labors wurden fünf Emeritierung 2009 wieder an die Uni Bielefeld zurück.
ist, anwendungsorientierte Grundlagenforschung für Firmen zu fördern: in Kooperation mit Unis als Christian-Doppler-(CD-)Labors, in Kooperation mit FH als Josef-Ressel(JR-)Zentren. Am Donnerstag wurde die 200. Forschungseinheit eröffnet. Aktuell gibt es 85 laufende bzw. genehmigte CD-Labors und elf JR-Zentren. vorzeitig beendet, mehr als 2011, da waren es nur zwei. Wo lagen hier die Probleme? Zwei Unternehmen gingen in Konkurs, andere waren kurz davor und wollten aussteigen. Mitunter haben die Unternehmen auch die Strategie und damit ihren Wissensbedarf geändert. Ein CD-Labor wurde aus wissenschaftlichen Gründen geschlossen.
Seit 2012 gibt es die Jose-Ressel(JR-)Zentren an den Fachhochschulen. Wie zufrieden sind Sie damit? Noch nicht voll zufrieden, da sind wir noch nicht so weit wie mit den Universitäten. Wobei: Die derzeit elf eingerichteten JR-Zentren sind sehr gut. Es ist spannend, zu welchen Themen da geforscht wird. Es gibt zum Beispiel an der FH Joanneum ein JR-Zentrum, in dem es um den Zusammenhang von Babynahrung und Adipositas geht.
Sie haben 2015, zum 20-jährigen Bestehen, festgestellt, dass Sie keine Geldsorgen haben. Hält diese Sicht bis heute? Wenn der Andrang an neuen CDLabors weiter so groß ist, werden wir vielleicht in Finanzprobleme kommen. Die Bundesregierung hat ja beschlossen, Förderungen um fünf Prozent zu kürzen. Ich hoffe, dass die richtigen gekürzt werden. Aber das wird jeder sagen.
Quo vadis: Neue Themen oder noch mehr Labors? Wir glauben, dass wir zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme beitragen können: Themen wie etwa Überalterung, Lärm in den Großstädten, Klimaschutz und auch bestimmte Energieprobleme. Die Zahl der CD-Labors und JR-Zentren zu erhöhen ist momentan nicht das vorrangige Ziel. Ich glaube, dass wir uns bei 90 bis 100 aktiven Forschungseinheiten einpendeln werden. Wir glauben aber aus standortpolitischen Überlegungen, dass noch mehr Unternehmen auf unser Modell setzen sollen. Die Unternehmen zu ermutigen, in die Grundlagenforschung zu gehen, ist die einzige Chance, dass Österreich vorn bleibt.