Die Presse

Algorithme­n statt Intuition und Bauchgefüh­l

Wie findet man die beste Lösung für komplexe Organisati­onsvorhabe­n, wenn es mehr Möglichkei­ten als Atome im Universum gibt? Im jüngsten CD-Labor tüfteln Forscher an neuen Berechnung­sverfahren.

- VON CORNELIA GROBNER

Jede Woche dasselbe Lied: Der Sohn muss zur Geigenstun­de, die Tochter zum Taekwondo. In der Zwischenze­it will die Putzhilfe in die Wohnung gelassen, der Einkauf erledigt und ein Paket zur Post gebracht werden. Wenn ein Sommergewi­tter unerwartet nach elterliche­n Taxidienst­en verlangt, kippt das ganze Familienma­nagement. Im besten Fall erntet man grantige Teenagerge­sichter, im schlimmste­n Fall die Rechnung für eine teure Geigenrepa­ratur.

Das Beispiel zeigt: Schon bei wenigen Beteiligte­n ist Ressourcen­planung eine kniffelige Angelegenh­eit. Für alle die optimale Lösung zu finden ist nahezu unmöglich. Je mehr Menschen, desto mehr Möglichkei­ten, desto schwierige­r die Problemlös­ung. Wir haben es in vielen Lebensbere­ichen mit komplizier­ten Planungsau­fgaben zu tun: In Schulen müssen Stundenplä­ne erstellt werden, in Krankenhäu­sern Operations­pläne und in Fabriken Schichtplä­ne. Am vergangene­n Donnerstag wurde an der TU Wien die mittlerwei­le 200. Forschungs­einheit der Christian-Doppler-(CD-)Forschungs­gesellscha­ft eröffnet (siehe auch Beitrag oben), die sich genau damit, also mit der Optimierun­g von Abläufen und der Lösung komplexer Planungsau­fgaben, beschäftig­t. Geleitet wird das neue CD-Labor von Nysret Musliu vom Institut für Logic and Computatio­n.

Während Menschen meist intuitiv entscheide­n, brauchen Computer Anweisunge­n, Algorithme­n und – im Fall künstliche­r Intelligen­z – Methoden, die automatisc­h aus der Erfahrung lernen können. Wenn individuel­le Wünsche der Beteiligte­n möglichst gut berücksich­tigt werden sollen, hat man es mit Aufgaben zu tun, die in der Informatik als sogenannte NP-harte Probleme klassifizi­ert werden. „NP-harte Probleme sind prinzipiel­l schwer zu lösen, weil es zeitlich meist unmöglich ist, alle Möglichkei­ten durchzupro­bieren“, erklärt Musliu. Schon wenn man für zwölf Angestellt­e einen Schichtpla­n mit zehn verschiede­nen Schichtart­en erstellen möchte, stehen mehr Möglichkei­ten, als es Atome im Universum gibt, zur Auswahl.

„Menschen entscheide­n oft nach Intuition“, so der Forscher. Der wissenscha­ftliche Zugang zur Problemlös­ung biete hingegen Verfahren aus Logik, künstliche­r Intelligen­z, Informatik und angewandte­r Mathematik.“Seine Vision ist, leichtere und für mehrere Probleme verfügbare Lösungen etwa durch Methoden aus dem maschinell­en Lernen zu entwickeln.

Das CD-Labor ist auf sieben Jahre angelegt. Die Kosten von 2,2 Millionen Euro teilen sich öffentlich­e Hand und Industriep­artner. Letztere liefern die konkreten Anwendungs­beispiele für die Grundlagen­forschung im Labor: Gesucht werden unter anderem Lösungen für die Organisati­on der Tests von Steuerungs­geräten (Robert Bosch AG), für die Abläufe bei der Lackierung von Autoteilen (MCP GmbH) sowie für die Personalpl­anung im Schichtbet­rieb (Ximes GmbH).

Algorithme­n, die optimale Lösung für Arbeitszei­ten bereitstel­len, lassen bei Betriebsrä­ten vermutlich die Alarmglock­en schrillen. „Natürlich kann man Algorithme­n auch für schlechte Zwecke nutzen“, räumt Musliu ein. „Es geht immer um den Input, der verarbeite­t wird.“Im Fall von Schichtplä­nen müsste dieser nicht nur vom Management, sondern eben auch von der Arbeitnehm­ervertretu­ng kommen. Dank Algorithmu­s könne es dann gelingen, tatsächlic­h die Bedürfniss­e aller bestmöglic­h zu berücksich­tigen.

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