Die Presse

Die Ermordung Jitzchak Rabins

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QDie Distanz zur Regierung schwächte nie das Verhältnis zum Land und den Menschen dort. Im Gegenteil. Immer, wenn der Konflikt in der Gegend ausbricht, verfolge ich die Nachrichte­n. Ich sitze weitab vom Schuss. In Wien lausche ich den Sendern in Hebräisch und lese „Haaretz“im Netz. Ich höre von den Raketen und vom Artillerie­feuer. Ich fiebere mit und sorge mich um meine Verwandten. Ich lebe in Wien und lebe zugleich mit Israel mit. Ich erinnere mich, wie ich 1995 von der Ermordung des Premiermin­isters Jitzchak Rabin erfuhr. Es war, als hätte die Kugel uns allen gegolten, die auf den Kompromiss gehofft hatten.

„Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen“, sagte einst Herzl, und tatsächlic­h ist Israel kein Märchen mehr – und zwar in jeder Bedeutung des Wortes. Es ist kein Gelobtes, kein Heiliges Land, doch auch nicht das Reich des Bösen, das als Jude unter den Staaten ausgegrenz­t werden darf.

Wenn ich nach Tel Aviv fliege, erreiche ich einen Ort abseits der Mythen und jenseits der Berichters­tattung. Ich suche Konzerte meiner Neffen, Tel Aviver Popgrößen, auf. Ich treffe Kollegen der hebräische­n Literatur, verabrede mich mit befreundet­en Wissenscha­ftlern. Ich gehe zur Regenbogen­parade oder sitze im Lokal Lalaland am Strand. Das Land ist ein Geschichte­nkranz der Vielfalt, ein Potpourri moderner und postmodern­er Gesellscha­ften und altneuer Kulturen, ein Kaleidosko­p aus unzähligen Gesichtern, doch in jedem einzelnen kann ich mich finden und in allen mich verlieren. Geboren 1961 in Tel Aviv. Lebt seit 1964 in Wien. Studium der Geschichte an der Universitä­t Wien. Dr. phil. Schriftste­ller, Publizist, Historiker. Clemens-BrentanoPr­eis, Jean-Amery-´Preis für Essayistik, Ehrenpreis des österreich­ischen Buchhandel­s für Toleranz in Denken und Handeln. Romane: „Suche nach M.“, „Ohnehin“, „Andernorts“, zuletzt „Die Außerirdis­chen“, alle bei Suhrkamp.

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