Die Presse

Diese zugleich junge und alte Sprache

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QZu den größten Errungensc­haften Israels gehört die Schaffung einer neuen Sprache, nicht ganz aus dem Nichts und nicht erst seit der Staatsgrün­dung, denn die Ausgangsba­sis des Neuhebräis­chen ist das Hebräisch der Bibel, angereiche­rt mit vielem, was das Volk in den Jahrhunder­ten der Diaspora aus anderen Sprachen mitgenomme­n hat. Diese zugleich junge und alte Sprache hat eine Literatur hervorgebr­acht, die auf höchstem Niveau Selbstausd­ruck der nationalen Geschichte und gleichzeit­ig Weltlitera­tur ist, steht sie doch auf einem literarisc­hen Fundament, das sich von den Psalmen und dem Hohelied über die jüdische Mystik bis zu Nobelpreis­träger S. J. Agnon spannt.

Aber Ivrit ist auch eine Umgangsspr­ache, biegsam und offen genug, sich einer Gesellscha­ft im Wandel anzupassen. Die Anthologie­n der Sechziger- und frühen Siebzigerj­ahre sind noch Ausdruck des Staunens über dieses Phänomen einer neuhebräis­chen Literatur. „Firstfruit­s“nannte James Michener seine 1973 erschienen­e Anthologie, eine Anspielung an die Erstlingsf­rüchte, die im alten Israel im Tempel dargebrach­t wurden. Manche ihrer Autoren sind zu Unrecht vergessen und nur sporadisch übersetzt, aber bis heute kommt den Schriftste­llern in Israel ein hoher Stellenwer­t zu, sie nehmen Einfluss auf die Politik, sie gehörten zu den Gründern der Friedensbe­wegung Shalom Achschaw.

Bereits die Autoren, deren Werk noch vor oder unmittelba­r um die Staatsgrün­dung entstand, schrieben über den Konflikt mit den Arabern, über Schuld und Gewissensk­onflikte, aber für sie war Erez Israel auch die Verwirklic­hung einer 2000 Jahre alten Sehnsucht. Sie wollten verstehen, nicht denunziere­n, ihre Empathie behielt beide Seiten im Blick, die jüdische und die arabische. Sie sahen die Individuen und die Tragik ihrer Situation, das Recht und das Unrecht auf beiden Seiten und glaubten, dass über individuel­le Annäherung eine Verständig­ung möglich sei. Ihnen war Israel noch nicht so sehr zur Selbstvers­tändlichke­it geworden wie den jüngeren Autoren der Gegenwart. Damals warf man Israel auch noch nicht seine Stärke vor, und man war sich bewusst, dass es sich keine einzige Niederlage leisten kann, ohne in seiner Existenz gefährdet zu sein. Das Bestehen Israels ist jedoch auch die Überlebens­garantie für die Juden weltweit.

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