Kreativ oder nur kreatief ?
Rechtschreibung ist Zivilisation. Ohne Rechtschreibung keine Zivilisation, keine Zivilisiertheit, keine Literatur, keine Sprache, nichts, außer radebrechen und sich irgendwelche Schlagwörter um die Ohren hauen“, behauptet – während einer vom Dudenverlag organisierten Diskussion von ein paar sprach- und schreibkundigen Experten – der Schauspieler Burghart Klaußner. Das ist eine starke Ansage, deren Gültigkeit in dem Gespräch erst bewiesen werden muss. Die Duden-Redaktion hat alles aufgezeichnet, bearbeitet und soeben als kleines Handbuch für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer „und darüber hinaus“veröffentlicht.
Je weiter die Sprachkundigen in Rede und Gegenrede vordringen, desto deutlicher wird, dass Rechtschreibung und der Umgang mit ihr ein höchst komplexes Unterfangen darstellen. Zu sagen, dass sich Rechtschreibung am besten vom Lesen her bilde, klingt vernünftig, beginnt als Standpunkt aber zu wanken, wenn später auch noch die Lehrmethode des freien Schreibens einen Zuspruch findet, bei der ein Schulkind ungebremst das Wort Vater zunächst als „Fata“festhalten darf. Danach setzt die zarte Nachhilfe ein. „Die Grundschüler lernen über das Schreiben das Lesen tatsächlich sehr schnell, und das freie Schreiben ist von Anfang an eine Selbstverständlichkeit“, verteidigt die Deutschlehrerin, Ausbilderin und Autorin Ulrike Holzwarth-Raether diese Methode gegen gehässige mediale Angriffe.
Ist die Rechtschreibkompetenz gestiegen, oder nimmt sie laufend ab? Da wird mit sehr sachlichen Argumenten vor einem Untergangsszenario gewarnt, zumal im Gegensatz zu älteren Studien heutzutage die Folgen diverser Studienreformen und der Öffnung höherer Schulen für breite Bevölkerungsteile einkalkuliert werden müssen. Danach formuliert aber die redaktionelle Leiterin, Kathrin Kunkel-Razum, doch einen negativen Konsens: „Ich glaube, wir können uns darauf einigen: Die Rechtschreibleistungen sind nicht mehr so gut, wie sie früher waren.“Migration, Digitalisierung mit ihrem Freiraum für jugendliche Simser und andere Ausbrecher aus anerkannten klassischen Formen sowie das Fehlen der berufsgebundenen Eltern bei der nachmittäglichen Nachhilfe für das Kind sind nachweisbare Faktoren.
Warum tun wir uns die Rechtschreibung überhaupt an? Wer hat etwas davon? Da geht der Dudenverlag vom niveauvollen Disput weiser Leute geschlossen in Offensi- ve und beantwortet mehrfach, was er als Frage im Buchtitel formuliert hat: „Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben.“
Denn Rechtschreibung an sich sei kein Partythema, sondern müsse schon mehr hergeben. Kurz gesagt. Wer nachweislich per Brief oder online fehlerhafte Texte losschickt, macht sich verdächtig wie ein schlampig verpacktes Produkt, das man käuflich erwirbt. Holzwarth-Raether: „Ich habe auch in der Hauptschule unterrichtet, und für mich war immer ein großer Auftrag, dass die Schülerinnen und Schüler dort die Chancen, die sie haben, wirklich wahrnehmen können. Das heißt, Rechtschreibung war für mich ein Beitrag zur Chancengleichheit. Heutzutage sehe ich, wenn man von
QKünstlerinnen oder Künstlern eine E-Mail kriegt, dass sie nur so von Rechtschreibfehlern wimmelt – aber das ist irgendwie kreativ, und man lässt es durchgehen. Bei Studenten ist es vielleicht auch noch ein Kavaliersdelikt. Aber wenn ein Hauptschüler sich mit einer fehlerhaften Bewerbung vorstellt, kann es schon sein, dass er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird: Das zeigt natürlich auch die Ungerechtigkeit darin.“
Sehr konservativ Burghart Klaußner: „Das ist eine absolute Herrschaftsfrage, wie ich vorhin schon gesagt habe – und auch eine Zivilisationsfrage: Wer falsch schreibt, ist unten durch.“
Peter Gallmann bildet an der FriedrichSchiller-Universität Jena Germanisten und Deutschlehrer aus und sagt: „Wenn die äußere Form schon schlecht ist, denken wir, ist der Inhalt endgültig mies. Was für normale Produkte gilt, gilt genauso für sprachliche Produkte. Wenn wir uns also sprachlich an jemand anders wenden und ,unser Produkt‘ – in Anführungszeichen – schon von Fehlern wimmelt, dann nimmt man automatisch an, dass die Botschaft, die man überbringen will, nicht ganz durchdacht ist. Mit anderen Worten: Jemand, der einem anderen etwas mitteilen will, tut gut daran, die äußere Form zu optimieren. Und genau das muss man in der Schule vermitteln, und es gilt für das ganze Leben, bis man ins Grab sinkt: Solang man kommuniziert, hat man mehr Erfolg mit optimierter Sprache, als wenn man ,zufälligen Pfusch‘ einfach stehen lässt.“
Holzwarth-Raether beklagt, dass in den Medien immer mehr Rechtschreibfehler vorkämen. Aber andererseits: Die Autokorrektur in digitalen Systemen ermöglichte die Ausmerzung banaler orthografischer Mängel. Sie versagt bloß dort, wo die Sprache Alternativen anbietet oder sogar erzwingt. Dann ist der Computer überfordert.
Das Duden-Team ist sogar stolz darauf, dass sich Medien per Autokorrektur auf Neuerungen der Rechtschreibreform festlegten. Sie folgen dem „Duden gelb“, was zu einer Vereinheitlichung der Rechtschreibung führe.
Für Unternehmen und jeden von uns gilt: Rechtschreibung ist ein persönlicher Fußabdruck. Diesen ansehnlich und überzeugend erscheinen zu lassen ist eine Art Lebensaufgabe.
Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben Hrsg. von der Dudenredaktion. 64 S., brosch., € 8,30 (Duden Verlag, Berlin)