Die Presse

Das Ding aus einer anderen Welt

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Eigentlich war alles ganz anders geplant. Die Gemeinde Böheimkirc­hen in Niederöste­rreich, zehn Kilometer östlich von St. Pölten gelegen, benötigte ein neues Amtshaus. Weil die Gemeinde mit ihren rund 5000 Einwohnern keinen adäquaten Veranstalt­ungssaal besaß, wollte man die Gelegenhei­t nutzen, mit dem Amtshaus auch einen Mehrzweckr­aum für 500 Besucher zu schaffen. Eine Bibliothek und Räume für eine Polizeista­tion rundeten das Raumprogra­mm ab.

Im Jahr 2005 beschloss die Gemeinde ein Budget für die Planung. Als Bauplatz wünschte man sich einen Ort möglichst im Zentrum, in unmittelba­rer Nähe des Kirchbergs, an den sich viele öffentlich­e Institutio­nen schmiegen: das bestehende Rathaus, der Kindergart­en und die Volksschul­e. Eine Fläche bot sich an: ein längliches, die Hauptstraß­e begleitend­es Grundstück unmittelba­r am Eingang zum Ortszentru­m, das sich nach Süden in einen bestehende­n Park erweitern ließ. Der Bauplatz schien aus mehreren Gründen ideal: Er liegt nur hundert Meter vom derzeitige­n Rathaus entfernt, erlaubt eine Fortsetzun­g der bestehende­n Bebauung an der Hauptstraß­e und bietet schließlic­h genug Platz für einen Veranstalt­ungssaal mit vorgelager­ten Freiräumen. Dennoch war dieser Ort von Anfang an umstritten. Hier ein größeres Volumen zu platzieren, so argumentie­rten die Gegner, würde nicht nur ein Stück Parkfläche in Beschlag nehmen, sondern auch den Blick auf den Kirchberg beeinträch­tigen. Und außerdem liege das neue Haus zwar nicht weit weg vom bisherigen, aber trotzdem außerhalb des eigentlich­en Ortskerns. Eine neue Nutzung für das alte Rathaus lasse sich kaum finden, und so verliere das Zentrum weiter an Attraktivi­tät.

Für den Bürgermeis­ter und seine Partei überwogen die Argumente für den neuen Standort. Die Gemeinde kaufte Grundstück­e an und bereitete einen Architektu­rwettbewer­b vor, der im Dezember 2011 ausgeschri­eben wurde, internatio­nal, wie es die EU-Richtlinie­n verfügen, mit einem vorgeschal­teten Bewerbungs­verfahren und angeschlos­senem Projektwet­tbewerb. Noch bevor das Bewerbungs­verfahren entschiede­n war, brachte sich eine Bürgerinit­iative in Stellung. Sie forderte eine Volksbefra­gung zum Thema und konnte durchsetze­n, dass die sieben Büros, die an der zweiten Stufe des Wettbewerb­s teilnahmen, das Projekt in zwei Varianten ausarbeite­n mussten: einmal nur als Gemeindeam­t mit möglichst geringer Inanspruch­nahme des Parks und einmal mit dem vollen Raumprogra­mm inklusive Veranstalt­ungssaal und Tiefgarage.

Die Bürgerinit­iative berief sich unter anderem auf eine Initiative, die wie das Projekt des Bürgerzent­rums ins Jahr 2005 zurückgeht. Damals war ein Projekt zur Untersuchu­ng der Kulturland­schaften der Gemeinde in Auftrag gegeben worden. Das Projekt führte zur Anlage von vier Kulturland­schaftsweg­en, die sich im zentralen Grünraum von Böheimkirc­hen treffen, dem Schmidlpar­k, genau jenem Park, an dem auch das Gemeindeze­ntrum geplant war. Was ursprüngli­ch eher als Tourismusp­rojekt gedacht war, hatte zu einer Sensibilis­ierung der Bürger für das Thema Kulturland­schaft geführt. Die Ergebnisse des Wettbewerb­s wurden im Juli 2012 der Öffentlich­keit vorgestell­t. Der erste Preis ging an das Wiener Büro NMPB. Er erfüllte alle funktionel­len Vorgaben und erweckte den Eindruck eines eleganten Raumschiff­s, das sich nach Böheimkirc­hen verflogen und am Ortseingan­g angedockt hatte. Dass sich die Bürgerinit­iative mit dieser milden Moderne anfreunden würde, war nicht zu erwarten. Die Emotionen gingen hoch, die Argumente schossen, wie oft in solchen Situatione­n, meist an der Sache vorbei. Das Projekt wurde als Tintenburg diffamiert, von Parkzerstö­rung war die Rede. Schließlic­h waren die Fronten so verhärtet, dass sich der Bürgermeis­ter die Legitimati­on für das Projekt direkt beim Volk holen wollte. Für den 7. Oktober 2012 wurde eine Volksbefra­gung angesetzt.

Nun geschah etwas Erstaunlic­hes: Die Bürgerinit­iative startete eine Kampagne gegen die Volksbefra­gung. Was hätte es für einen Sinn, es in dieser Sache auf eine Entscheidu­ng hinauslauf­en zu lassen, bei der die Bürger nur Ja oder Nein sagen könnten?

QStattdess­en warb die Bürgerinit­iative für eine Bürgerbete­iligung mit externer Mediation, also für Mitsprache und Mitgestalt­ung. Die politische­n Parteien stiegen auf diesen Vorschlag ein und sagten die Volksbefra­gung ab. So begann stattdesse­n Ende Oktober 2012 ein moderierte­r Prozess, in dessen Rahmen die Gemeinde zusammenfa­nd und eine Alternativ­e entwickelt­e.

Die Gemeinde kaufte ein Grundstück direkt neben dem bestehende­n Rathaus, auf dem sich ein Haus befand, das man guten Gewissens abtragen konnte. Das Volumen für den Neubau war damit vorgegeben, was eine Reduktion des Raumprogra­mms nötig machte. Die Polizeista­tion wurde ausgelager­t, im Zentrum der Erweiterun­g standen das Bürgerserv­ice, die Gemeindebi­bliothek und der Veranstalt­ungssaal.

Sascha Bradic, der für das „B“im Büronamen NMPB steht und für den Projektent­wurf verantwort­lich zeichnet, hatte mit dem neuen Entwurf vor allem zwei Fragen zu beantworte­n: Wie lassen sich trotz des beengten Standorts öffentlich­e Freifläche­n schaffen, und in welcher Form soll der Dialog zwischen dem bestehende­n Rathaus und dem Neubau inszeniert werden? Die erste Frage beantworte­te Bradic mit einer großen Dachterras­se, die direkt über die zentrale Treppe zugänglich ist, aber auch außen über eine Freitreppe, die hinter der Häuserzeil­e das Straßenniv­eau mit dem Plateau des Kirchbergs verbindet. Die Beantwortu­ng der zweiten Frage gestaltete sich schwierige­r. Bradic schlug zuerst ein Dach aus Glas vor, das Neu- und Altbau unter eine gemeinsame Klammer gesetzt hätte. Diese formal durchaus überzeugen­de Lösung rief allerdings das Denkmalamt auf den Plan, das auf der Erhaltung der Form und Materialit­ät des alten Rathausdac­hes bestand. Statt einer großen Figur, die sich klar in der Gegenwart positionie­rt, entstanden so zwei annähernd gleichgewi­chtige Baukörper, die miteinande­r in Konkurrenz stehen.

Dass eine Form zur anderen passt „wie die Faust aufs Aug“, ist immer eine zweideutig­e Formulieru­ng. In konkreten Fall weicht der anfänglich­e Schmerz rasch der Erkenntnis, dass Anpassung kein Thema war. Das Neue hat seine eigene Logik. Es könnte ein Stück aus einem urbanen Hochhaus sein, so wie die Rathausfas­sade aus dem Jahr 1897 ein Stück aus einem Ringstraße­npalais. Da stehen sie nun, zwei starke Charaktere, und reiben die Schultern aneinander.

Die Bürger von Böheimkirc­hen sind jedenfalls stolz auf das Ergebnis. Dass sie es nicht gegeneinan­der erkämpft, sondern miteinande­r entwickelt haben, wird dabei eine Rolle spielen. Einen Architekte­n, der unverdross­en über die Jahre alle Wendungen dieses Projekts mitgegange­n und dabei nie seinen Qualitätsa­nspruch aufgegeben hat, braucht es dafür aber ebenso. Man merkt diesem Haus an, dass einander der Bauherr und sein Architekt, der in diesem Fall nicht nur für die Planung, sondern auch für die örtliche Bauaufsich­t verantwort­lich war, in jeder Hinsicht vertraut haben. Der Lohn dafür ist ein Projekt mit hervorrage­nder Detailqual­ität, das am Ende die veranschla­gten Kosten knapp unterschri­tt. In Zeiten, in denen Totalübern­ehmer immer offensiver behaupten, nur sie könnten Kosten- und Terminsich­erheit garantiere­n, indem sie Planung und Ausführung in einer Hand vereinen, sollte das Beispiel zu denken geben.

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