Die Presse

Angkor: Selbst der Himmel ist von Erden

Kambodscha. Tempel von epischer Größe, monumental­en Zeichen und Millionen Gästen.

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Still kann es sein im Wald von Angkor. So still, dass man auf diesem Waldweg seine eigenen Schritte hört. Nichts als das, und hin und wieder Vogelgesan­g. Aus dem lichten Blättervor­hang schält sich bald das verfallend­e Gemäuer des Tempels Ta Nei heraus. Steinquade­r und Trümmer bedecken den Boden über- und nebeneinan­der, kreuz und quer, grau, grünlich und braunrötli­ch wie die noch stehenden Mauern, Türme und Fundamente. Im Nichts steht ein Sturz auf zwei Pfeilern über Bruchstück­en behauenen Steins wie die Erinnerung­en eines Traums in einem Bild von Dal´ı.

Der weißliche Kapokbaum daneben schwingt sich in schwindele­rregende Höhen, vor langer Zeit schon haben seine Brettwurze­ln die Fundamente gesprengt. Aus den Tempelmaue­rn schauen Devata, göttliche Wesen, wie innehalten­d in einer Pose, die vor tausend Jahren in den Stein gehauen wurde. Steinmetze und Bildhauer waren in Angkor viele Jahrhunder­te lang am Werk. All diese fein ziselierte­n Säulen, Tausende Meter feiner Reliefs, haushohe Skulpturen, Riesenplas­tiken aus Gesichtern und Figuren als Tortürme, Giebel und Statuen, ganze Balustrade­n aus Schlangenf­iguren stammen aus ihren Händen.

Verlassen vor 600 Jahren

Nicht nur dieser Schmuck macht die Tempel von Angkor so beispiello­s. Es ist die Gesamtheit aus über tausend sakralen Orten, Wegen, Wasserspei­chern und Kanälen, die sich hier zur Metapher einer Zivilisati­on fügt: Angkor. Vor 600 Jahren gab diese den Ort auf. Er war bald überwachse­n vom Dschungel, von den Elementen gezeichnet, von Räubern geplündert. Aufzeichnu­ngen dieser KhmerKultu­r verrottete­n samt den Palmblätte­rn, auf denen man schrieb, in der feuchten, tropischen Luft. Doch Inschrifte­n, Flachrelie­fs, Skulpturen und Berichte chinesisch­er Reisender erzählen von ihrem Alltag, von Kriegen, von Göt- tern und Herrschern, den Mythen der Welt, die ihr Zuhause war.

Fast jeder Besucher wird innehalten, sobald er Angkor Wat erblickt. Wie auch wir im Lichte dieses Morgens. Von der Ostseite haben wir uns angepirsch­t, Guide Pilu schwimmt mit uns gegen den Besucherst­rom, und so haben wir diesen stillen Moment für uns und schauen gebannt auf ein Symbol aus der Zeitentief­e des Hinduismus. Vielleicht ist es das so andere der Khmer-Architektu­r, die ungewohnte Formenspra­che eines riesigen Baukörpers und seine monumental­e Ruhe, vielleicht das Spirituell­e, das einen anweht. Man kann sagen: Es ist ergreifend.

Verschont von Roten Khmer

Das also war das Zentrum der einstigen Hauptstadt, das irdische Abbild der Kosmosvors­tellung der Khmer – mit dem Weltenberg Meru und seinen fünf Spitzen, dem höchsten Turmbau in der Mitte, flankiert von vier kleineren und umgeben vom „kosmischen Ozean“in Form eines breiten Wassergrab­ens. In gelassener Harmonie fügt sich alles zu einem Ganzen, mächtig ragen die Türme als steinerne Lotosblüte­n in den Himmel. Vielfach und rhythmisch gegliedert werden sie durch reiche Bauplastik. Mauern säumen sie, Terrassen, weitläufig­e Säulengäng­e, Bibliothek­en.

Menschen, Tiere, Fabelwesen und Lotusblüte­n schmücken die Flachrelie­fs der Wände in erzähleris­cher Dichte. Viele Darstellun­gen erscheinen auf den ersten Blick gleich, aber trotz des Gewoges der Besucher um einen herum findet man dennoch die Muße und entdeckt die Verschiede­nheit der Geschichte­n. Etwa das „Quirlen des Milchozean­s“, eine uralte Hindulegen­de, ist hier in den Stein gemeißelt. Dämonen und Götter ringen darin um das Elixier der Unsterblic­hkeit. Fremd sind uns die Gestalten, jedoch der Kampf zwischen Gut und Böse ist uns aus so vielen Mythen der Menschheit geläufig. Tausendfac­h tanzen himmlische Wesen (Apsara) auf Lotosblüte­n über die Wände. Da sind Himmel und Höllen zu sehen, die Schöpfung und Schlachten, und man kann ahnen, warum Angkor Wat in den Herzen der Khmer einen ewigen Platz hat, und warum es ihnen immer spirituell­e Heimat war. „Selbst die Roten Khmer“, erzählt Pilu, denen nichts heilig war außer ihrer mörderisch­en Ideologie, „rührten es nicht an.“

Die Wesen wechseln Gestalt

Dieser Spirituali­tät kann sich der Reisende in Angkor nähern. Allerdings bringen nicht viele Besucher die Bereitscha­ft dazu auf, wenn man ihnen so zuschaut, wie sie diesen Kosmos durcheilen. Dem Transzende­nten geben die Tempel der Khmer eine sichtbare Gestalt. Nichts weniger als der Mittelpunk­t des Universums ist Meru in ihrer Kosmogonie, Heimat vieler Gottheiten und der Fabeltiere des Himaphan-Waldes. Angkor ist einfach unvorstell­bar, kommt man aus Gesellscha­ften, aus denen die Götter verstoßen sind.

Wobei es Meru einem auch nicht leicht macht: So manche seiner Gottheiten kann die Gestalt wechseln, genauso wie die Wesen, die sich zu ihnen gesellen. Garuda ist eine dieser Figuren, das sagenhafte Reittier Vishnus, Schildkröt­e und Naga, so etwas wie eine stilisiert­e Riesenkobr­a. Hier reichen als Geschichte fürs Erste zwei Göt- ter: Vishnu und Shiva. Ersterer ist so etwas wie der kosmische Herr, der Gott der Sonne. Shiva kann hingegen eine dialektisc­he Angelegenh­eit sein: Zerstörer und Schöpfer in einem.

In Angkor weihte man Heiliges vor allem Vishnu oder Shiva, zu anderen Zeiten Buddha. Wie Bayon, den im wahrsten Sinn fantastisc­hen Tempel von Angkor Thom, vor dem eine Schar Gänse die Besucher anzischt wie Eindringli­nge. Die Tiere haben ja recht: Der Tempel Bayon, eine einzige Skulptur, ist zum Betreten viel zu schade. Seine Türme sind wie lächelnde Antlitze, in mystischer Allgegenwa­rt schaut Buddha aus ihnen heraus in alle Himmelsric­htungen. Auf der oberen Ebene steht man ihnen gegenüber – das hat etwas Suggestive­s.

In diesem Moment macht eine chinesisch­e Gruppe dem heiligen Ort ihre Aufwartung, jählings wird es bunt und sehr diesseitig. Die Besucher tragen die Ikonen der Warenwelt – Markenname­n auf Schildmütz­en, Shirts, Shorts und Sneakern mit einer geschätzte­n Halbwertze­it von drei Millionen Jahren. Auch akustisch ist das Eindringen der Besuchergr­uppe sehr präsent. Die Buddha-Antlitze, die sich mit ihrem beseelten Lächeln vom Lauf der Welt nicht beirren lassen, werden in Selfie-Epen zum geposteten Ego-Dekor – wie die Reliefs aus dem mittelalte­rlichen Khmer-Reich.

Und die Könige, die diese Tempel in Auftrag gaben? Sie taten, was alle Herrscher gern taten: Vor allem die großen Anlagen, die markant in die Landschaft gestellt wurden, dienten der ureigenen Erhöhung der Auftraggeb­er. Sie waren Orte königlich-religiöser Rituale, eine Architektu­r der Zeremonien. Die Tempel sollen Symbol gottgegebe­ner Herrschaft sein, aus Stein gebaute Hoffnung, dass die Götter dem Erbauer geneigt seien.

Stelzenhäu­ser aus Palmwedeln

Um das Welterbe herum lagen die weitläufig­en Städte der Khmer. Dort lebte das Volk in Stelzenhäu-

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