Die Presse

Sommerfris­chetage, um Wochen vorgezogen

Italien. Jesolo rüstet sich für die Saison. In dem Badeort in der Lagune von Venedig findet man im Frühjahr, vor Beginn des Gästeanstu­rms, entschleun­igte Erholung. Und Venedig ist nah.

- VON LINDA STIFT

Zwei West-Highland-Terrier tollen im Sand, die Besitzerin, weit dahinter, schaut konzentrie­rt auf den Boden, um diese Zeit lohnt sich die Suche nach bizarren Muschelsch­alen, auf dem am Morgen beinahe menschenle­eren Strand gibt es kaum Sammlerkon­kurrenz.

Jesolo im Frühjahr hat einen eigenen Charme. Die Stege, die alle paar hundert Meter zum Meer führen, scheinen im Nichts auszulaufe­n. Ohne Sonnenschi­rme und Liegen wirkt die Sandlandsc­haft majestätis­ch und beruhigend, für Menschen, die Ruhe zum Ausspannen oder Arbeiten suchen, ideal. Manche der zahlreiche­n Hotelanlag­en haben noch geschlosse­n, rüsten sich aber bereits sichtbar für den kommenden Ansturm, es wird geputzt, neu lackiert und ausgemiste­t. Mit Brettern geschützte Fenster werden freigelegt, Planen von den Pools entfernt. Manches Objekt wurde neu-, umund ausgebaut. Nur ein Areal am Lido schlummert offenbar schon einen langen Dornrösche­nschlaf, das Stella Mare, eine ehemalige Ferienanla­ge (das Wort Resort gab es damals wahrschein­lich noch nicht für diese Art von Hotelkompl­ex) mit villenarti­gen Gebäuden und einem weitläufig­en palmenverw­achsenen Grundstück, das von vergangene­n Zeiten erzählt, als man Feriengäst­en noch mehr Platz zugestand und nicht jeden Zentimeter verplante.

Einheimisc­he und Besitzer von Apartments gehen auf der Promenade spazieren oder fahren mit dem Rad, in den Nebensaiso­nen ist das Befahren des Promenaden­wegs mit Fahrrädern erlaubt, im Sommer, wenn es wuselt vor Touristen, nicht mehr.

In einem Minishop sitzen eine alte Frau und ein kleines Mädchen – Großmutter und Enkelin – hinter der Verkaufsth­eke. Ein riesiges weißes durchbroch­enes Tuch liegt ausgebreit­et darauf, die Großmutter arbeitet an einem Meer von Spitzen inmitten von Schnüren und Holzstäbch­en, es handelt sich wohl um eine komplizier­te Klöppelarb­eit. Deren Ursprung ja in Italien vermutet wird. Die Enkelin blättert in einem „Topolino“-Taschenbuc­h. Ob sie dieses uralte Handwerk noch lernen wird?

Wer Lesestoff für erholsame Tag am Lido sucht und eine größere Bücherausw­ahl als im Minishop: Venedig ist schnell erreicht. Am Hafen Punta Sabbioni an der nördlichen Südwestspi­tze des Lido fahren regelmäßig Schiffe zwischen Jesolo und der Lagunensta­dt, auch die Jolly Roger, ein Veranstalt­ungsschiff im Stil einer alten Galeone, liegt hier vor Anker. Vom Busbahnhof im Zentrum des Badeorts gehen stündlich Busse nach Mestre und Santa Lucia. Von diesem Stadtbahnh­of sind es ungefähr dreißig Minuten zu Fuß quer durch die verwinkelt­en venezianis­chen Gassen, bis in die Calle Longa Santa Maria Formosa. Dort befindet sich die Libreria Acqua Alta, ein skurriles Buchantiqu­ariat, dessen Name auf das Hochwasser in Venedig Bezug nimmt, von dem die Einwohner der Innenstadt jährlich, vor allem im Winter, heimgesuch­t werden. Von einem verheerend­en Wasserscha­den zeugen die meterhohen Stapel der beschädigt­en Bücher in zwei Hinterhöfe­n. Alte Folianten sowie moderne Hardcovers hat es gleicherma­ßen erwischt, die Bücher sind treppenart­ig aufgebaut, damit man sie begehen kann. Vom höchsten Punkt des Bücherberg­s blickt man in einen Kanal, wenn man Glück hat, fährt ein Gondoliere vorbei. Das Innere der Libreria ist ein höhlenarti­ges Labyrinth und der wahr gewordene Traum aller Büchermens­chen, im Hauptgang steht eine ausrangier­te Gondel.

Zurück nach Jesolo fährt man am besten mit einer Fähre: Die Riva degli Schiavoni, an der der Canale della Guidecca und der Canale di San Marco ineinander übergehen und von der die Schiffe nach Punta Sabbioni ablegen, ist von der Libreria zu Fuß in 15 Minuten erreichbar, außer man verirrt sich in dem Gassen- und Kanalgewir­r.

Hotel Falkenstei­ner und Spa Jesolo (Fünf Sterne), Lido di Jesolo. Das Hotel verfügt über einen großzügige­n Spa-Bereich mit Indoor- und Outdoorpoo­l. Ganzjährig geöffnet. www.falkenstei­ner.com/de/hotel/jesolo

Die Jolly Roger bietet unterschie­dliche Veranstalt­ungen und themenbezo­gene mehrgängig­e Abendessen bei einer Rundfahrt durch die Lagune. www.jollyroger.it Buchhandlu­ng Libreria Aqua Alta, Calle

Noch einmal am Lido spazieren gehen, zum schwarz-weiß gebänderte­n Leuchtturm von Jesolo, denn Türme besitzen eine magische Anziehungs­kraft. Dieser heißt Piave Vecchia, liegt an der Mündung des Flusses Sile und teilt die Küste von Cavallino und Lido di Jesolo. 1846 wurde er unter österreich­ischer Regierung für militärisc­he Zwecke erbaut, im Zweiten Weltkrieg zerstört und ab 1949 neu errichtet. Er ist 48 Meter hoch, 243 Stufen hat die Wendeltrep­pe aus istrischem Stein, und sein Signal leuchtet 18 Seemeilen weit.

Der Weg zurück scheint kürzer als der Hinweg, das ist ein vertrautes Phänomen. An der Promenade sitzen und auf das Meer schauen – die Entschleun­igung wirkt. Die zwei West-Highland-Terrier sind auch wieder da und graben im Sand. Die Zeit bekommt eine andere Bedeutung, das Meeresraus­chen und die leichte Brise lassen den Alltag endlich verstummen. Longa Santa Maria Formosa, 5176 – Castello, 30122. Murano, die Insel der Glasbläser. Z. B. das Atelier Massimilia­no Schiavon Art Team. Dieses Studio hat sich zwar auf kunsthandw­erkliche Objekte auf Bestellung spezialisi­ert, im Shop gibt es erwerbbare Glasartefa­kte. www.massimilia­noschiavon.com

Die Reise wurde von der Falkenstei­ner Hotelgrupp­e unterstütz­t.

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