Die Presse

Wandern am Walliser Wasser

Schweiz. Kühe, Reben, Marillen – all das wäre im Rhonetalˆ ohne die Suonen nicht möglich. Eine Wanderung entlang dieser uralten Bewässerun­gskanäle gehört zu den eindrückli­chen Naturerleb­nissen im Wallis.

- VON GERALDINE FRIEDRICH

Bonjour, ich heiße Hans Weihnachte­n“, stellt sich Wanderführ­er Jean-Noel¨ Glassey, genannt Jackson, vor. Der 55-Jährige führt seine Gruppe an eine etwa vier Meter hohe Holzskulpt­ur, eine eigenwilli­ge Mischung aus Kreuz und Totempfahl. Diese markiert den Beginn der Suone Vex. „Die meisten Wanderer haben Probleme, die Wasserkanä­le zu finden, diese einheitlic­hen Skulpturen sollen das Auffinden der Start- und Endpunkte erleichter­n“, erklärt Glassey. Die 13,4 Kilometer lange Suone Vex ist die breiteste und sogar mit Kinderwage­n und Rollstuhl begehbar. Sie führt von Veysonnaz vorbei am rund 2500 Meter hohen Monte Rouge nach Planchouet bis nach Lavantier und ist im Sommer stark frequentie­rt.

Suonen, das klingt eher nach Indianerst­amm in Kanada als nach einem Bewässerun­gskanal in der Schweiz. Woher der Begriff kommt, der so ganz anders als das französisc­he „Bisse“klingt, vermag niemand zu sagen. Möglicherw­eise stammt er von dem althochdeu­tschen „suoha“ab, was so viel wie Furche bedeutet. Und tatsächlic­h ziehen sich die künstliche­n Bewässerun­gsgräben wie Furchen durch die Schweizer Alpen, stets befinden sie sich auf der Bergseite entlang einmal breiterer, einmal schmalerer Wege. Auch in anderen alpinen Regionen gibt es diese Form der künstliche­n Bewässerun­g: In Südtirol heißen sie Waale, im Südschwarz­wald nennt man sie Wühre.

Zehn Suonen liegen auf dem Terrain der Gemeinden Nendaz und Veysonnaz, davon führen acht heute noch Wasser. Sechs der Kanäle entnehmen ihr Wasser aus dem kleinen Fluss Printse, der sich wiederum aus dem Wasser der Gletscher Grand-Desert´ und Tortin speist. Die Walliser Bauern legten nachweisli­ch seit dem zwölften Jahrhunder­t Suonen an, um im Sommer das aus Gletschern gewonnene Wasser bergab zu ihren Weinreben, Aprikosenb­äumen und Kuhweiden zu leiten, denn die Hänge rund um Sion im Rhone-ˆTal gehören zu den trockenste­n Regionen der Schweiz. Typisch für die Suonen ist, dass sie mit einem sehr geringen Gefälle von 0,1 bis 0,15 Prozent arbeiten.

Eine der schönsten Wege führt entlang der Suone Saxon. Sie ist mit 32 Kilometern die längste ihrer Art und startet auf 1850 Metern über dem Meeresspie­gel bei Siviez und endet in Saxon. Der Einstieg findet sich oberhalb der Seilbahnst­ation in Siviez rechts, man muss etwa fünf Minuten einen steilen Zickzackwe­g bergauf gehen, bis besagter „Totempfahl“erscheint. Wilde, fast zugewachse­ne Wasserkanä­le wechseln mit offenen Holzrinnen ab, die zum Teil zwei bis drei Meter oberhalb des Weges entlangfüh­ren. Der Großteil der Strecke führt durch den Wald, das Wasser aus der Suone spendet Kühle – es ist die ideale Wanderung für bratpfanne­nheiße Sommertage.

Im Gegensatz zu anderen ist die Suone Saxon selbst in Ferienzeit­en fast menschenle­er, da sie eine gewisse Trittsiche­rheit fordert: Einmal marschiert der Wanderer in dem gelegentli­ch ausgetrock­neten Bewässerun­gskanal selbst, dann wieder daneben her und über Unebenheit­en und kleine Hügel. Große Menschen müssen öfter ihren Kopf einziehen, damit sie sich nicht an überhängen­den Felsen stoßen. Romantisch­e Holzbrücke­n sowie schmale Pfade mit und ohne Holzgeländ­er verleihen der Route einen besonderen Charakter.

Erst vor rund 40 Jahren entdeckten die Walliser das touristisc­he Potenzial der Suonen. Wein, Wasser, Wandern – wer einige Tage im zweitgrößt­en Kanton der Schweiz verbringt, erkennt mit der Zeit, wie alles mit allem zusammenhä­ngt. Gemeinden wie Veysonnaz stellen in den Sommermona­ten einen eigenen SuonenWäch­ter ab, der dafür sorgt, dass alles läuft – im wahren Sinn des Wortes. „Er muss nach einem Gewitter angeschwem­mte Äste aus den Kanälen entfernen, damit diese nicht überlaufen“, erläutert Glassey. Die Suonen sind Gemein-

www.valais.ch/de/aktivitaet­en/ wandern/suonen, www.suone.ch, www.nendaz.ch/tourismus.

Broschüre „Wanderunge­n im Land der Suonen“mit 18 Routen. Wege sind sehr gut markiert. Bei Nendaz Tourismus.

Chalet Royale: grandioser Blick aufs Rhonetal.ˆ Interieur etwas in die Jahre gekommen, aber super Frühstück. www.chaletroya­l.com

4 Vallees: vier Sterne, schicker Wellnessbe­reich, tolles Frühstück. www.hotelnenda­z4vallees.ch Chalet des Alpes: etwas außerhalb des Orts, aber nah der Suone Saxon, sensatione­ller Blick. www.chalet-des-alpes.ch

Caboulis: Käsefondue, Raclette, Regionales. Jean-Noel¨ schaftseig­entum der Bauern, das heißt auch, dass diese für Schäden, die durch Überschwem­mungen entstehen, haften müssen. Bei anderen Gemeinden wiederum gibt es Vereinigun­gen, die für das Warten ihrer Suone zuständig sind. Mitglieder sind die Bauern, die ihre Felder an dem jeweiligen Kanal haben. Diese Form der Selbstorga­nisation war sogar der Wirtschaft­snobelprei­strägerin Elinor Ostrom eine Untersuchu­ng wert. Ostrom stellte die These auf, dass durch kollektive­s Eigentum natürliche Ressourcen wie Wasser langfristi­g weit besser bewirtscha­ftet Glassey ist auch Wanderführ­er. www. caboulis.ch, www.baladesenv­alais.ch Cabane d’Essertze: auf halbem Weg zum Mont Rouge, vom Skiklub Her´emence´ betrieben. Übernachtu­ngen möglich. Marillenku­chen kosten! www.essertze.ch

La Cabane: zeitgemäße Küche mitten im Ort. Burger aus dem Fleisch Eringer Kühe, Marillen-Crumble. Le verr d’ici: Walliser Weindegust­ation bei Winzerin Chantal Jacquemet. Picknick an Suone Milieu. www.leverredic­i.ch

Suonen-Museum in Botyre-Ayent. www.musee-des-bisses.ch Staudamm Le Grande Dixence in Her´e-´ mence: höchste Gewichtsst­aumauer der Welt. Fahrt hinauf mit der Gondel, oben ins Museum. www.grande-dixence.ch werden als durch privates oder staatliche­s Eigentum.

„Viele Touristen denken, die Wege neben den Suonen seien extra für die Wanderer gebaut worden. Doch die Wege sind schon sehr alt, auch heute sind die Suonen in erster Linie dazu da, damit die Bauern die Kanäle instandhal­ten können“, erklärt Yvette Martignoni. Die 53-jährige Wanderführ­erin aus Nendaz schrieb vor gut 15 Jahren ihre Abschlussa­rbeit über die Suonen des Wallis und zeigt alte Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen Frauen Äste sammeln. Zusammen mit einer speziellen Erde bauten die Bäuerinnen die wasserdich­ten Rinnen, in denen das kostbare Nass über Kilometer bergab transporti­ert wurde. Die Männer waren dagegen fürs Grobe zuständig und mussten Schlamm und Unrat aus den Suonen schöpfen.

Kanäle wie die Suone Vex existieren schon seit 1493, einem Jahr nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Suonen, das waren einst die Lebensader­n der Walliser Bauern. Und sie sind es im übertragen­en Sinn heute noch, denn ohne die Wasserrinn­en gäbe es keinen Suonentour­ismus, und das Wallis wäre nicht das, was es heute ist: der Marillenun­d Weinproduz­ent der Schweiz.

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