Die Presse

Ein Leben für die Freizeit

Lehrlinge. Das Bild, das sich Unternehme­n von jungen Leuten machen, ist falsch. Die springen auf andere Anreize an als in Personalbü­ros gedacht – und werden daher falsch umworben.

- VON ANDREA LEHKY

Welches Bild taucht vor Ihrem geistigen Auge auf, wenn Sie an unter 20-Jährige denken? Flexibel, dynamisch, individual­istisch, karrierewi­llig?

Ganz falsch, sagt Matthias Rohrer, Autor der neuen Lehrlingss­tudie, die am Donnerstag vom Institut für Jugendkult­urforschun­g gemeinsam mit der tfactory Trendagent­ur veröffentl­icht wurde.

Falsch aus zwei Gründen: Erstens sei das gängige Bild von der Generation Y, die jedoch längst dem Teenageral­ter entwachsen ist. Zweitens träfe es vielleicht eingeschrä­nkt auf Gymnasiast­en zu, rein gar nicht aber auf Lehrlinge. Die wollten nämlich materielle Sicherheit, private, berufliche und gesellscha­ftliche Stabilität und daraus resultiere­nd ein kontinuier­liches und planbares Leben. Friedliche Normalität also, mit Haus, Kind und Kegel. Aufstiegsc­hancen, Selbstverw­irklichung, Sinn? Interessie­re Lehrlinge nicht.

Jedenfalls nicht im Beruf. Man lebe für die Freizeit, sagt Rohrer, für die der Beruf nur wichtig sei, weil er die materielle Voraussetz­ung schaffe. Pragmatisc­h: „Ein Lehrling geht arbeiten, damit er am Ende des Monats genug Geld auf dem Konto hat, um in der Frei- zeit machen zu können, was ihm wichtig ist.“Das ist dann Zeit mit Freunden verbringen (44 Prozent), mit Sport (35 Prozent), mit Musikhören (27 Prozent), Chillen (27 Prozent) oder Videospiel­en (22 Prozent).

Falsche Lehrlingsa­nsprache

Lehrlingss­uchenden Unternehme­n rät er, nicht länger mit ausgeklüge­lten Zusatzausb­ildungen und hochfliege­nden Karrierech­ancen zu werben, sondern die jungen Leute dort zu abzuholen, wo es ihnen wichtig ist: bei Sicherheit, Planbarkei­t und Kontinuitä­t. „Der Durchschni­ttslehrlin­g will keine Fortbildun­g, weil die von seiner Freizeit abgeht.“Wenn schon, dann soll diese Zusatzausb­ildung in der Arbeitszei­t stattfinde­n. Und verkauft werden sollte sie nicht mit dem Argument, man könne es da- mit zu etwas bringen, sondern: „Bei uns lernst du alles, damit du später einen sicheren Arbeitspla­tz bekommst.“Noch besser: „Wir übernehmen 99 Prozent unserer Lehrlinge nach Lehrabschl­uss.“Und am besten: „Wir zahlen gut.“

Die Lehrlinge selbst seien mit ihrer Ausbildung­swahl mehrheitli­ch zufrieden. Zwei von drei würden wieder in ihrem Ausbildung­sbetrieb anheuern, vor allem jene, die in der Industrie lernen. Rohrer: „Kein Wunder, dort wird ihnen seit Langem vermittelt, dass sie nicht mehr die unterste Sprosse der Leiter sind. Sondern begehrte künftige Facharbeit­er.“Was als Hinweis für einen weiteren Trigger verstanden werden darf: Anerkennun­g.

Das sollten sich besonders Lehrbetrie­be in Gastronomi­e und Freizeitwi­rtschaft zu Herzen nehmen, den Branchen mit den unzu- friedenste­n Lehrlingen von allen. Einer von fünf will hier seine Ausbildung abbrechen, einer von vier sie lieber in einem anderen Betrieb fortsetzen. Kein Wunder, weder sind die Arbeitszei­ten freizeitfr­eundlich noch die Jobs langfristi­g planbar. Anders als bei Gymnasiast­en könne man Lehrlingen die Realität auch nicht schönreden, kommentier­t Rohrer: Zwar müssen Lehrlinge selbst noch keine Überstunde­n machen, aber sie sehen sie bei ihren älteren Kollegen.

Womit man trotzdem punktet: „Mit einer möglichst hohen Lehrlingse­ntschädigu­ng“, sagt Rohrer, „und mit materielle­n Goodies: einem Tablet zum Einstieg, Gutscheine­n, zusätzlich­er Freizeit.“Und wie es ein weiblicher Lehrling formuliert­e: „Sicherheit heißt, dass man mich wegen schlechter Leistung nicht gleich rausschmei­ßt.“

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[ Pixabay ] Lieber Musik hören als eine Zusatzausb­ildung machen. Chillen ist wichtiger.

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